„Erst beriechen, dann abschieben“

Das gesellschaftliche Klima, das man für Integration braucht, findet man nicht im neuen Gesetz, sagt Dieter Oberndörfer, Migrationsexperte

taz: Herr Oberndörfer, ist das jetzt verhandelte Zuwanderungsgesetz besser als gar keins?

Dieter Oberndörfer: Man könnte sagen, es ist ein kleiner Riss in der sturen Abwendungspolitik geschaffen. Gleichzeitig aber wird wieder mit der Bezeichnung Zuwanderungsbegrenzungsgesetz das Signal gegeben, dass Zuwanderung per se ein Problem ist. Das ist falsch.

Immerhin gibt es jetzt einen Anspruch auf Integration, und der Bund zahlt.

Ja, wirklich überraschend. Plötzlich und am Ende steht die Integration im Mittelpunkt, die jahrzehntelang niemanden gekümmert hat. Aber auch hier wird wieder schulmeisterlich und mit Zwang gearbeitet – mit dem Effekt, dass die Leute sich absetzen und verbockt werden. Sprachkurse können nur freiwillig funktionieren, sonst schafft man mit ihnen weder Identifikation noch Akzeptanz. Die Sanktionsandrohung schafft das Gegenteil und ist Ausdruck des gesellschaftlichen Klimas, das hier herrscht.

Und wie wollen Sie das Klima ändern?

Die Politiker müssen endlich anfangen, von den großen Leistungen zu sprechen, die Zuwanderer in diesem Land erbracht haben. Als der Süssmuth-Bericht zur Zuwanderung im Juli 2001 übergeben wurde, gab es einen breiten gesellschaftlichen Konsens, dass wir Zuwanderung aus demografischen und ökonomischen Gründen brauchen. Doch der Kernpunkt, die demografische Notwendigkeit, ist nun verloren. Eine Politik, die die Zuwanderung unter dem Motto „Bereicherung und nicht Belastung“ führen wollte, ist nun geendet in einem Streit darüber, wie mit einem Begrenzungsgesetz möglichst wenige ins Land kommen.

Vielleicht hatten die Politiker seit dem 11. September 2001 gar keine andere Wahl, als den Sicherheitsaspekt symbolisch und zur Beruhigung nach vorne zu kehren – um Zuwanderung zu ermöglichen.

Ich habe auch den Eindruck, dass mit den Sicherheitsfragen viel Schau im Hinblick auf eine bestimmte Wählerklientel produziert wurde. Es kann in einem Rechtsstaat keine Verurteilungen auf Verdacht und derlei geben. Aber bloß um bestimmten Leuten und der CSU die Zustimmung zu erleichtern, sind wir so auf ein Gleis gekommen, in dem plötzlich Prinzipien des Rechtsstaats infrage gestellt wurden.

Nur der CSU? Ihre eigene Partei, die CDU, kann sich seit geraumer Zeit an die Aussagen des Süssmuth-Berichts nicht mehr erinnern.

Der Takt wurde in München vorgegeben. In der CDU finden Sie ein erhebliches Segment von Leuten, die selbst wissen, dass es wie jetzt nicht weitergehen kann. Aber es sieht aus, als wenn genau diese Heuchelei mit dem jetzigen Kompromiss fortgeschrieben wird. Wenn nur Hochqualifizierte hineinkommen sollen, frage ich: Wer soll das sein?

Die mit den besten Universitätsabschlüssen?

Wir werden auch im Dienstleistungsbereich Zuwanderer brauchen. Die müssen dann über Ausnahmeregelungen, also das Gastarbeiterprinzip mit zeitlicher Begrenzung, geholt werden. Wir haben gegenwärtig bis zu 300.000 Ausnahmefälle im Jahr – was für eine Verlogenheit! Es sieht aus, als würde dieses Gesetz das deutsche Prinzip „Erst beriechen, dann abschieben“ weiterführen.

Wird Deutschland also weiterhin den großen Industrie- und Einwanderungsländern hinterherhinken?

Man muss erst mal sehen, wie dieses Gesetz umgesetzt wird – von der Verwaltung wird unendlich viel abhängen. Aber in zehn Jahren wird nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa – auch und gerade die neuen EU-Staaten im Osten – vor der Frage stehen, ob und wie viel Einwanderung wir aus demografischen Gründen brauchen. Die Debatte hört jetzt nicht auf.
INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN