: Hannover überholt Bayern rechts
Damit man das Polizeigesetz nicht mehr „in die Tonne hauen“ kann, plant Niedersachsens Landesregierung weit reichende Einschnitte in den Persönlichkeitsschutz. Besonders umstritten: der präventive Lauschangriff
aus HannoverKAI SCHÖNEBERG
Wegen heftiger Proteste hatte sogar der CSU-Rechtsaußen und bayerische Innenminister Günther Beckstein zurückgerudert – und will das Gesetz jetzt doch in den Landtag einbringen. Natürlich erst nach der Landtagswahl im September. Niedersachsen dürfte Bayern beim „präventiven Lauschangriff“ dann rechts außen überholt haben: Hier soll die Regelung bereits Anfang 2004 als Teil des neuen „Gefahrenabwehrgesetzes“ in Kraft treten. CDU-Fraktionschef David McAllister verteidigte den Entwurf bereits im Landtag als „modernstes und effektivstes Polizeigesetz Deutschlands“.
Der ehemalige SPD-Innenminister Heiner Bartling sagte im Landtag, das Gesetz sei „reiner Populismus“. Schon jetzt arbeite die Polizei auf der Basis des bisherigen Gefahrenabwehrgesetzes „so erfolgreich wie nie zuvor“. Der Grünen-Abgeordnete Hans-Albert Lennartz kritisierte: „Ihr Polizeigesetz wird verbrannte Erde für die bürgerlichen Freiheiten hinterlassen.“
Vor allem das präventive Lauschen stößt bislang auf erbitterten Widerstand: Geht es nach dem neuen Paragraphen 33 a des Polizeigesetzes, darf die niedersächsische Polizei zukünftig auch „Störer“ telefonisch überwachen. Damit werden sehr weit reichende Möglichkeiten geschaffen, Telefonate zu belauschen und von Fax bis SMS den kompletten Datenverkehr zu kontrollieren – ohne dass eine konkrete Straftat vorliegt. Bislang durfte nur auf richterliche Anordnung und bei „Störung der öffentlichen Sicherheit“, nicht aber bei „Störung der öffentlichen Ordnung“ gelauscht werden.
Der niedersächsische Datenschutzbeauftragte hat gegen das Polizeigesetz viele Bedenken angemeldet – besonders „erhebliche“ jedoch gegen den präventiven Lauschangriff: Die Kriminalitätsraten seien nicht so besorgniserregend, dass ein derartiger Eingriff in die Freiheitsrechte nötig sei. Vor allem das Lauschen per so genannter IMSI-Catcher – Apparate, die Handys fast metergenau orten können – habe bislang höchstens bei Suizidkandidaten Erfolg gezeigt, für „Störer“ sei es nicht notwendig. Diese Ausweitung der Handy-Catcherei auf „Störer“ sowie Sachwerte sei „höchst problematisch“.
„Das kann schon jemanden treffen, der einfach nur ein Kaugummi auf die Straße spuckt“, sagt die grüne Innenexpertin Lore Schmidt. Auch beim Verdacht auf Pöbeln oder wildes Plakatieren könnte der Lauschapparat der Polizei in Gang gesetzt werden. Die niedersächsischen Grünen halten die Regelung deshalb schlicht für ganz „überflüssig“. „Wenn die Polizei schon das Gefühl hat, da könnte etwas nicht stimmen, kann sie die Lauscherei anordnen“, kritisiert Schmidt.
Das Gesetz treffe aber auch und insbesondere notorische „Störer“ wie Castor-Demonstranten, kritisiert die Grüne. Hartnäckige Protestler müssen sich ohnehin auf härtere Zeiten einstellen: Solche „potenziellen Gewalttäter“ dürfen künftig nicht mehr nur vier, sondern zehn Tage in „Unterbindungsgewahrsam“ genommen werden.
Kai Schöneberg