: Resterampe der Realitäten
„Es bediente Sie: Ihr Theaterdiscounterteam“: In der Packhalle des ehemaligen Telegrafenamtes Oranienburger Straße versucht man mit Uraufführungen am Puls der Zeit zu bleiben. Bislang vergeblich, wie „Planet Porno“ beweist
Die Monbijoustraße runter, ein paar Meter weiter Richtung Spree, probt hinter hohen Palisadenzäunen das Hexenkessel Hoftheater Shakespeares dritten Richard. Bis hierher, zur Packhalle des ehemaligen Telegrafenamts, dringen die Dialogfetzen: „Ich liebe Sie – erstick dran und verfaule!“
Kein Shakespeare für uns heute Abend: Wir kaufen beim Theaterdiscounter. So nennt sich die freie Schauspielgruppe, die in der Packhalle ihren weitläufigen Spielraum gefunden hat. Die Eintrittskarte zu „Planet Porno – Die erste Nummer“ ist ein Kassenbon, Kostenpunkt 9,99 Euro, originalgetreu mit Zwischensumme und TOTAL – „Es bediente Sie: Ihr Theaterdiscounterteam“. Auch an der Bar gibt es Discounterpreise, dahinter hängt ein Plakat mit Gesichtern im Passbildformat, über denen wie im gut geführten Supermarkt „Wir sind für Sie da!“ steht. „Noch nie waren echte Menschen so preiswert“, wirbt der Discounter, und allmählich sind wir gespannt auf die Planet-Porno-Nummer.
Beim Discounter gibt es nur neuwertige Ware: ausschließlich Uraufführungen, die nach knapper Probenzeit nur kurz im Angebot sind und dann gegen andere ausgetauscht werden. „Planet Porno“ beruft sich auf ein Zitat von Pedro Almodóvar („Die Realität imitiert den Porno“) und kombiniert Textstücke aus Interviews, Fernsehbeiträgen und Autobiografien. Aufgelesene Zitate mehr oder minder berühmter Zeitgenossen hintereinanderweg montiert: Das Ergebnis soll dann wohl die Realität entlarven. Und so dürfen Eminem, Wolfgang Joop, Stefan Effenberg, Teresa Orlowski, Britney Spears und Prinz William all jenen unter uns Neues aus ihrem Leben erzählen, die weder die Panorama- Seiten der Tageszeitungen noch die Gala lesen.
Wolfgang Joop arbeitet in New York und Potsdam. Die Hobbys von Teresa Orlowski sind Kochen und Schlafen. Britney Spears’ Busen ist nicht operiert und Prinz William sagt über die Queen, sie sei in erster Linie seine Oma. Schon klar: Das alles ist ziemliches Gewäsch. Und dass „echte und lebendige Menschen zu unglaublichen Ergüssen“ fähig sein können, wie die Disounterleute fassungslos in der Ankündigung ihres Stücks schreiben, das war uns eigentlich schon vorher klar.
Die Potenzierung des Gewäschs durch noch mehr Gewäsch funktioniert leidlich, und wenn Teresa Orlowski und Prinz William aufeinander treffen, dann hat das durchaus seinen eigenen Charme. Nur: Wer bei Aldi kauft, der tut das auch, weil er hinterher wortreich versichern kann, der Champagner dort sei ohnehin der beste. Discounter schön und gut, heißt das, aber doch bitte nur, wenn auch die Qualität stimmt. Und das tut sie beim Theaterdiscounter, trotz der vorzüglichen Geschäftsidee und des großen Engagements der Mitarbeiter, nicht in jeder Hinsicht.
Während beispielsweise jeweils einer der drei Schauspieler (Vivien Mahler, Susanne Schnapp und Patrick Wengenroth) Stefan Effenberg mimen darf, müssen die beiden anderen um ihn herum ganz betont Sport treiben: um die Halle joggen, dehnen, stretchen, biegen bis hin zum Spagat. Eine Wasserflasche mit den Zähnen öffnen, trinken und wieder ausspucken. Die refrainartige Frage, die die Schauspieler reihum äußern, drängt sich nicht nur hier auf: „Warum?“
Regieeinfälle wie der, Wolfgang Joop während seines Sermons eine Banane essen zu lassen, tragen gerade nicht dazu bei, die Texte sich selbst entlarven zu lassen. Und dass zu allem Übel die Gestik und Mimik der Schauspieler genau so reduziert ist wie die sprachliche Gestaltung ihrer „unglaublichen Ergüsse“, lässt einen wünschen, diesen Dicounterabend zu Hause auf der Couch verbracht zu haben. Mit Bunte, Gala und einer Flasche Aldi-Champagner. Mehr für sein Geld hätte man allemal bekommen.
ANNE KRAUME