Armstrongs Schlappe

Jan Ullrich gewinnt bei der Tour überlegen das Zeitfahren der 12. Etappe und rückt Lance Armstrong auf die Pelle

BERLIN taz ■ Das gelbe Trikot blieb zwar auf seinen Schultern, doch wie ein Sieger sah Lance Armstrong wahrlich nicht aus, als er gestern ins Ziel des Einzelzeitfahrens auf der 12. Etappe der Tour de France kam. Nur Zweiter war der Amerikaner geworden, 1:36 Minuten hinter dem Tagessieger Jan Ullrich. Armstrong liegt jetzt in der Gesamtwertung nur noch 34 Sekunden vor dem Deutschen, 51 Sekunden vor Alexander Winokurow. Eine deutliche Schlappe für den sieggewohnten Texaner.

Die Bedeutung dieses Zeitfahrens war allen Protagonisten schon vorher sonnenklar gewesen. „Das wichtigste Zeitfahren meiner Karriere“, hatte sich Armstrong überzeugt gezeigt. „Die Schlüsselstelle der Tour“, stellte der einsame Kampf gegen die Uhr für Telekom-Teamchef Walter Godefroot dar. Die Zeitabstände nach den Alpenetappen waren geringer als üblich geblieben, so hatte keiner der ersten 25 im Gesamtklassement mehr als zehn Minuten auf den Spitzenreiter verloren. Das lag vor allem daran, dass Armstrong in den Bergen nicht seinen üblichen Rhythmus gefunden hatte, die Konkurrenten daher nicht wie gewohnt in Grund und Boden fahren konnte und diese ihm in der zweiten Woche somit enger im Nacken saßen als bei all seinen vier Toursiegen zuvor. Um sich den fünften Erfolg holen zu können, war es pure Verpflichtung für ihn, vor dem schweren Ritt durch die Pyrenäen am Wochenende die Distanz zu den Verfolgern in seiner Spezialdisziplin beträchtlich zu vergrößern.

Als hätte der 32-Jährige diese Entwicklung geahnt, hatte er in dieser Saison nach eigenem Bekunden Zeitfahren ausgiebiger trainiert als in früheren Jahren, und auch das etwas wellige Streckenprofil auf den 47 Kilometern von Gaillac nach Cap Découverte kam ihm entgegen. „Ich kenne den Kurs, ich liebe ihn“, sagte der Texaner vorher, aber da war er nicht der Einzige. Auch Jan Ullrich lag diese Strecke mit zwei langen Steigungen. Entsprechend beherzt rückte beide diesem Zeitfahren zuleibe. Bei der ersten Zwischenzeit waren sie genau gleich, danach holte Ullrich Sekunde um Sekunde gegen Lance Armstrong heraus. Am Ende hatte der Amerikaner gegen die meisten seiner Rivalen zwar gehörig Zeit gutgemacht, nur nicht gegen den einen, den er am meisten fürchtet. Jan Ullrich hat sich eindrucksvoll als Anwärter auf den Toursieg zurückgemeldet. MATTI