Weggeputzt

Sozialdemokraten auf dem Weg zur dritten Kraft in Hamburg: Landeschef Olaf Scholz scheiterte am eigenen Erneuerungskurs, sein Nachfolger Mathias Petersen muss sich seinen GenossInnen erst noch beweisen. Zuallererst auf dem heutigen Parteitag

von sven-michael veit

Dem Mann ist die Stimmung noch immer gründlichst verhagelt am vorigen Mittwochnachmittag während der Haushaltsdebatte der Bürgerschaft, obwohl die Europawahl schon drei Tage her ist. Eine Abstimmung, die für die SPD bundesweit zum Debakel und in Hamburg gar zum Desaster wurde. Aufmunterungsversuche helfen da nichts. „Die Mittelchen, die sie uns morgens geben“, so die sarkastische Replik des Sozialdemokraten, „wirken nur ein paar Stunden“: Am Ende der Ära Olaf Scholz ist Hamburgs SPD auf dem Weg zur dritten politischen Kraft in dem Stadtstaat, den sie jahrzehntelang beherrscht hatte, die vorherrschende Stimmung ist depressiv.

Patentrezepte wird auch Mathias Petersen kaum ausstellen, wenn er heute zum neuen Parteichef der Elb-Sozis gewählt wird, bestenfalls ein Schmerzmittel wird der Allgemeinmediziner verabreichen. „Wir müssen auf die Menschen zugehen, in die Stadtteile, in die Vereine“, wird der 48-jährige Abgeordnete mit drei Bürgermeistern in der Ahnenreihe auf dem Parteitag im Bürgerhaus Wilhelmsburg von seinen GenossInnen verlangen, „um ihr Vertrauen wieder zu gewinnen.“ So wie es Michael Neumann, der 34-jährige Fraktionschef, bereits vormacht: Der eher bodenständige Berufssoldat aus Billstedt-Horn hat dort die Schirmherrschaft über eine Rammlerschau übernommen.

Er und Hobby-Golfer Petersen aus Othmarschen bilden künftig die Doppelspitze, die Hamburgs Sozialdemokraten den Weg zurück an die Macht im Rathaus ebnen soll. Kein Zuckerschlecken nach einer Serie vernichtender Urnengänge, im Schatten eines absolut regierenden Strahlemanns von Beust und angesichts wachsenden grünen Bedrohungspotenzials.

Die GAL, die jahrelang darum bettelte, von der SPD ernst genommen und an der Macht beteiligt zu werden, flirtet inzwischen unverhohlen mit schwarz-grünen Koalitionen zunächst auf Bezirksebene und schickt sich zudem an, die Nummer 2 im hanseatischen Politranking zu werden. Die Aussicht, nach der nächsten Bürgerschaftswahl 2008 nur als Juniorpartner der Grünen die harten Oppositionsbänke verlassen zu können, hat denn auch aller neu verkündeten Bescheidenheit zum Trotz für echte Sozialdemokraten nur sehr begrenzten Charme.

Dabei war es der heute nach vier Jahren aus dem Amt scheidende Parteichef Olaf Scholz gewesen, der nach dem erstmaligen Verlust der Regierungsmacht im September 2001 mit dem Großreinemachen in der Hamburger SPD begann. Tiefgreifend, so sein Credo, müsse „die personelle und programmatische Erneuerung“ der Partei sein, die sich jahrzehntelang im Glauben an ihre Unbesiegbarkeit selbstgefällig gespiegelt hatte.

„Neue Leute, ein neues Team“ hatte Scholz deshalb gefordert und altgediente Genossen wie den ewigen Bausenator Eugen Wagner oder den abgewählten Bürgermeister Ortwin Runde teils eigenhändig ihrer angestammten Erbhöfe verwiesen. Auch „konstruktive Debatten“ in der Partei und mit den Bürgern schwebten Scholz vor – und musste sich selbst monatelang immer lauter den innerparteilichen Vorwurf gefallen lassen, in der Auseinandersetzung um die Agenda 2010 genau diese zu verhindern. Scholz scheiterte am Spagat zwischen seinen Ämtern als Landeschef in Hamburg und Kanzler Schröders Partei-General in Berlin.

Mehr als pflichtschuldigst höflichen Dank wird der alerte Rechtsanwalt aus Altona, der vorigen Montag 46 wurde, bei seiner heutigen Abdankung kaum ernten – obwohl niemand in der Partei ernsthaft in Zweifel zieht, dass sein Kurs der richtige war. Die Robustheit seiner Methoden aber und die kühle Unnahbarkeit des versierten Analytikers und Taktikers jedoch vermochten nie das Herz einer SPD zu erreichen, die mehr denn je nach ihrer verlorenen Seele sucht.

Als Therapeut nun bietet Petersen sich an. Mit dem Image, „der Kandidat der Basis“ zu sein, kämpfte er im vorigen Herbst gegen Ex-Senator Thomas Mirow um die Spitzenkandidatur und unterlag nur knapp. Sein zweiter Versuch, in Amt und Wüden zu gelangen, hingegen gelang. Vor zwei Wochen setzte er sich per Mitgliedervotum gegen den vom Landesvorstand favorisierten Sozialpolitiker Knut Fleckenstein durch, wiederum mit dem Anspruch, der Mann der einfachen GenossInnen und nicht „der Funktionäre“ zu sein.

Deren oberster aber wird Petersen nun als Parteichef selbst – und muss als erstes eben diejenigen für sich einnehmen, gegen die er antrat: die Mehrheit des 23-köpfigen Landesvorstandes. Hinter vorgehaltener Hand raunen einige bereits die Namen potenzieller NachfolgerInnen im Hinblick auf 2008 – statt in der Gemäldegalerie seiner Altvorderen an den Wänden im Rathaus könnte Petersens Wahlfahrt mit einer Bruchlandung enden.