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Archiv-Artikel

Wenn der Minister kommt

Großer Tag für den Heinrich-Club: Das neue Ehrenmitglied wird dringend erwartet

Der Schwitzfleck unter seinen Achseln reicht schon bis zur Gürtellinie

Der stellvertretende Vereinsvorsitzende hat wohl zum 93. Male die Gattin befragt, ob seine Krawatte denn auch gerade sitze. Der blütenweiße Hemdkragen ist ihm zu eng, unruhig wandert sein Adamsapfel auf und ab und er sieht aus wie ein Erpel mit Schluckbeschwerden, wagt aber nicht, den obersten Hemdknopf zu öffnen. Schließlich wird ein waschechter Landesminister erwartet.

Zu 20 Uhr hatte der hohe Besuch sein Erscheinen angesagt. Hastige Blicke fliegen zur Kirchturmuhr und finden deren Zeiger auf 20.23 Uhr vorgerückt. Zum wiederholten Male hat die Tambourmajorin des Damenfanfarenzuges Fehlalarm gegeben, weil sich eine größere Limousine näherte, die dann aber doch nur einem vom abendlichen Melken heimkehrenden Großbauern gehörte. Enttäuscht setzen die Damen ihre Instrumente wieder ab. Seit 45 Minuten stehen sie Instrument bei Fuß, tadellos herausgeputzt und herrlich anzusehen in ihren blauen Boleros mit Tressen und blitzenden Uniformknöpfen, mit ihren weißen Faltenröckchen und den ebenso blütenweißen Stiefelchen. Seufzend wendet der 2. Vorsitzende den Blick von den schlanken Mädchenbeinen. Der Schwitzfleck unter seinen Achseln reicht schon bis unter die Gürtellinie, ist aber durch das graublaue Jackett den Blicken der Umstehenden entzogen. Den strengen Geruch ist man von ihm gewöhnt; nach der harten Feldarbeit fehlt ihm meistens die Zeit für ein Duschbad. In der Regel wechselt er nur rasch Hemd und Hose, um proper und pünktlich zu den allmonatlichen Treffen des „Heinrich-Clubs“ zu erscheinen.

Auf 26 ist die Mitgliederzahl dieser exklusiven Verbindung gesunken, seit sich der alte Heinrich Menkhaus im vergangenen Jahr nach einer durchzechten Nacht frühmorgens in die Dreschmaschine zum Schlafen niederlegte und wenig später aus einem frisch gepressten Strohballen geschält werden musste. Am heutigen Abend soll der Bestand wieder auf 27 gebracht und überhaupt das erste Ehrenmitglied aufgenommen werden. Der Minister heißt ebenfalls Heinrich; und in einer Art Schulterschluss aller Demokraten war man sich wider alle parteipolitischen Gegensätze einig geworden, dem Liberalen die Ehrenmitgliedschaft anzutragen. Rein zufällig hatte man sich im Frühjahr kennen gelernt, als der Amtsträger anlässlich der Landtagswahl vor dem Supermarkt um Stimmen warb und hernach noch auf eine kleine Erfrischung im Dorfkrug eingekehrt war.

„Heinrich!!“, rülpste es ihm dort drei-, vier-, nein, sechsstimmig entgegen. Nur wenige Schlucke, und das Kabinettsmitglied wusste alles über den „Heinrich-Club“ und dessen Gründungsgeschichte, nämlich wie Heinrich Köttensieker damals alle ihm bekannten Heinrichs um sich versammelt hatte, weil er seinen Namenstag am 15. Juli nicht alleine feiern wollte. In wenigen Monaten stand das zehnjährige Bestehen des Clubs bevor, und was lag näher, als den prominenten Namensvetter kurzerhand zur Jubiläumsfeier einzuladen. Schließlich war Wahlkampf, und da sagt ein Minister zu den seltsamsten Anträgen Ja und Amen, wenn es nur der Stimmenernte dient.

Nun also stehen die Heinrichs und ihre Gattinnen wie zur Erstkommunion herausgeputzt in Reih und Glied. Damenfanfarenzug und Männergesangverein haben „Hoch auf dem gelben Wagen“ einstudiert, das Lieblingslied des berühmten Gastes; sie hatten nicht versäumt, sich bei seinem Referenten danach zu erkundigen. Der allerdings war noch recht neu im Amt und hatte nicht die geringste Ahnung von den musikalischen Vorlieben seines Dienstherrn, aber was dem Ehrenvorsitzenden Scheel recht war, konnte auf Landesebene auch nicht ganz falsch sein.

Das Mädel unterm Schellenbaum ist schon leicht in sich zusammengesunken, und die robuste Trommlerin hat ihre Pauke ab- und sich selbst darauf gesetzt. Da endlich kommt der jüngste Heinrich, der als Späher ausgesandt worden war, japsend die Dorfstraße heraufgeradelt und keucht atemlos: „Er kommt! Er kommt!“ Dann bricht er vor den Füßen des 1. Vorsitzenden leblos zusammen.

Aber er hat auf den letzten Metern seines jungen Lebens nicht gelogen. In seiner Reifenspur folgt eine noble Karosse. Ein schneidiger Chauffeur mit Dienstmütze sitzt in strammer Haltung hinter dem Volant, und ein gnädig lächelnder Minister hat die getönte Scheibe halb herabgelassen, den zahllosen Schaulustigen huldvoll zuzuwinken. Der 1. Vorsitzende gibt der Tambourmajorin das verabredete Zeichen, der Pfarrer hebt die Hände wie zur Fürbitte. Fanfaren blitzen im rötlichen Schein der Abendsonne, und alle warten auf die feiste Trommlerin, die sich unter den missbilligenden Blicken ihrer Chefin beeilt, den Steiß von der Pauke zu wuchten. Die Sänger stimmen sich ein auf den Kammerton A, was noch selten genutzt hat. Furchtsam blicken sie auf ihren Chorleiter, nur wenige wagen einen schnellen Blick auf die Limousine, die eben vor dem Saaleingang der Gaststätte „Samba Franz“ zum Halten kommt. Die drei Vorsitzenden, der 1. und 2. nebst Kassenwart, setzen sich in Bewegung. Tief befriedigt wissen sie die neiderfüllten Blicke der Umstehenden auf sich gerichtet. Nicht der Bürgermeister, nicht der Gemeindedirektor und auch nicht Pfarrer oder Kaplan, sie werden gleich den Minister, der eben erst aus Brüssel zurückgekehrt ist, willkommen heißen und ihm im Flackern der Blitzlichter die Hand schütteln dürfen, sie allein. Sie können ihr Glück kaum glauben: Er ist wirklich eingetroffen. CASPAR WIEDENBRÖCK