: Begriffe klauen und verhunzen
Schriften zu Zeitschriften: Die Aggression muss raus. Die „Feministischen Studien“ und die produktiven Seiten des „neuen Feminismus“
Bisher hat die etablierte Genderforschung beim Thema „neuer Feminismus“ vielleicht gerade mal eine Braue gehoben: In ihren Augen wollen Autorinnen, die offensichtlich keine Ahnung haben, die Frauenbewegung diskreditieren und einen Feminismus etablieren, der nicht wehtut: Reichlich Herablassung prägte entsprechende Veranstaltungen und Texte.
Das ist im aktuellen Heft der mittlerweile 25-jährigen Feministischen Studien, die in ihrem Schwerpunkt schlicht „Neuer Feminismus?“ fragen, anders – zumindest teilweise. Denn die Frage „Brauchen wir einen neuen Feminismus?“ erweist sich als produktiv, haben die Herausgeberinnen bemerkt – spätestens, als sie den Andrang junger Frauen auf einem gleichnamigen Kongress in Frankfurt sahen.
Doch zuerst muss offenbar viel Aggression abgebaut werden: Elisabeth Klaus gruppiert in der Einleitung ernsthafte Versuche, jungen Feminismus zu betreiben, wie „Das F-Wort“ von Mirja Stöcker, mit dem FDP-Feminismus von Thea Dorn und Silvana Koch-Mehrin zusammen, dazu mit bürgerlichen Selbstbefragungen wie die von Iris Radisch und Susanne Gaschke und schließlich sogar mit der Antifeministin Eva Herman, als seien alle Teil desselben neokonservativen Komplotts. Dieses klaue gerade den Begriff Feminismus, verhunze ihn mit Ursula von der Leyen als „konservativen Feminismus“ und mache das Konzept damit quasi gesellschaftspolitisch kampfunfähig.
Damit vereinfacht Klaus die Debattenlandschaft ziemlich, schließlich betreiben etwa die „Alphamädchen“ Haaf, Klingner und Streidl ebenso wie Stöcker dezidiert Gesellschaftskritik. Zugleich aber regt dieser Universalverriss zu der Frage an, was denn die Genderforschung selbst in letzter Zeit so zur Sozialkritik beigetragen hat.
Denn zumindest die Theorie der Genderstudies ist seit Jahren mit der Hypothek des „Linguistic Turn“ der späten Sechziger belastet, nach der der „Diskurs“ die Ausübung von Macht überhaupt erst ermöglicht, sie produziert und kontrolliert. Eine kritische Theorie und/oder Praxis wurde seitdem eher dekonstruiert als motiviert. Diese Diagnose stellt im Heft Rita Casale und meint, der Hyperindividualismus der F-Klasse sei eine logische Folge dieser „Epistemologisierung der politischen Theorien“, die sich eben von einer Gesellschaftstheorie weitgehend verabschiedet hätten. Auch Gudrun-Axeli Knapp problematisiert den „Cultural Turn“ vor allem als fatale Themenverlagerung: Es erscheine erklärungsbedüftig, dass sich die Theoriedebatte der frühen Neunziger um Sex und Gender von historischen Kleinigkeiten wie dem Zusammenbruch der kommunistischen Welt kaum habe ablenken lassen. Sie plädiert dafür, einen „Spatial Turn“ einzuleiten, den kulturellen wieder um den gesellschaftlichen Raum zu erweitern. Damit hätte die Theorie dann wieder die etwas praktischer orientierten Genderstudies eingeholt, die sich ihre normativen Bezugspunkte eigentlich nie so recht durch kulturelle Pirouetten haben madig machen lassen.
Verdienstvoll sind die Blicke über den Theoriebrillenrand: Nach Skandinavien, nach Italien, wo sich die Gruppe „Adateoriafemminista“ dezidiert von den mütterlichen Differenzfeministinnen um „Diotima“ und ihrer Politik des affidamento absetzt. Zur dritten Welle in Deutschland, wo auf Ladyfesten sämtliche Kategorien gequeert werden: „Whatever your gender may be, if you feel like a lady be part of the ladyfest.“ Und in die Welt der Männlichkeiten-Forschung, wo Edgar Forster den klassischen Patriarchatsbegriff wieder ernst nimmt. Wer wie Männlichkeits-Doyen Robert Connell die Veränderbarkeit von Männlichkeiten betone, vernachlässige gesellschaftliche Strukturen von Ungleichheit und Dominanz: „Metrosexualität“ von Männern als zelebrierte Differenz etwa unterminiere das Patriarchat keineswegs. Neben solchen interessanten Einsichten bleibt nach der Lektüre allerdings auch eine weitere hängen: Die Feministischen Studien sind ein Theorieblatt, das unerwarteterweise manchmal praktisch wird. In den meisten Texten aber blüht die Freude am hermetischen Jargon. Der verhindert auch, was die Feministischen Studien selbst allein der „männlichen Einbahnstraße“ in den deutschen Feuilletons anlasten: Eine breitere Wahrnehmung der Zeitschrift.
HEIDE OESTREICH