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Archiv-Artikel

Gotthold und seine Brüder

Die spätere Führungsriege der Kirche Roms zwischen Rhein und Oder ging durch Pater Kleins Hände„Es ging mir darum, den blinden Gehorsam zu verurteilen“, sagt Gotthold HasenhüttlAus den Tübinger Jahren kennt Hasenhüttl Ratzinger. Er kutschierte ihn durch die Gegend

AUS SAARBRÜCKEN PHILIPP GESSLER

Man kann die Geschichte Gotthold Hasenhüttls mit der Tat beginnen, die ihn bekannt gemacht hat: die Ausgabe der Eucharistie an Protestanten am Rande des Ökumenischen Kirchentags in Berlin vor einem Jahr – woraufhin ihn sein Bischof vom priesterlichen Amt suspendierte. Hasenhüttls Geschichte so zu erzählen und auf den laufenden Katholikentag in Ulm zu verweisen, aber wäre langweilig und würde wenig erklären. Beginnen wir deshalb mit dem Jesuiten Wilhelm Klein, einem Schuss und einem mittelgroßen Wunder.

Ein Kopfschuss streckt den Feldgeistlichen Klein im Ersten Weltkriegs nieder. Zwei Tage schwebt er zwischen Leben und Tod. Hätte ihn nicht die Nonne Edith Stein gesund gepflegt, wäre die Geschichte Hasenhüttls ganz anders verlaufen. Und dieses Lehrstück von Macht und Karriere, Theologie und Freundschaft in der ältesten Institution der Menschheit ließe sich nicht erzählen. Wer den emeritierten Saarbrücker Theologieprofessor Hasenhüttl verstehen will, muss über Klein sprechen.

Pater Klein überlebt also den Krieg und wird Jahre später Spiritual, das heißt geistlicher Leiter des Germanikums in Rom. Das Priesterseminar ist seit Jahrhunderten de facto die Kaderschmiede der deutschen Katholiken an der päpstlichen Universität Gregoriana. Die spätere Führungsriege der Kirche Roms zwischen Rhein und Oder ging durch Kleins Hände. Übertrieben? Kaum. Selbst das nüchterne „Lexikon für Theologie und Kirche“ schreibt über Klein, er „prägte in unerhörtem Maße eine ganze Generation von Theologen“. Und Karl Rahner, der wichtigste katholische Theologe des 20. Jahrhunderts, erwog, ob Klein nicht der bedeutendste Theologe seiner Zeit sei. Klein fehlte wegen seiner Kriegsverletzung ein Teil seiner Schädeldecke, weshalb man sein Herz auf der Haut seiner Glatze pochen sehen konnte. Er wurde 106 Jahre alt.

Es ist der Kreis der Schüler Kleins, unter ihnen Hasenhüttl, die sich beim heutigen Konflikt wie in einem Familienstreit unversöhnlich gegenüber stehen, gerade weil sie sich so lange kennen. „Ich bin stärker geprägt durch die befreiende Theologie meines Spirituals Pater Klein als durch manche Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils“, betont Hasenhüttl. „Ich kann mich nicht denken ohne seinen Einfluss“, sagt auch der frühere Germaniker und heutige Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann, über Klein. Sein Kardinalskollege Friedrich Wetter in München war ebenso auf dem Germanikum wie der kritische Theologe Hans Küng, der in seiner Biografie gleichfalls Kleins Einfluss würdigt.

„Manche Germaniker haben die befreienden Anstöße von Pater Klein aufgegriffen und weiterentwickelt, manche nicht,“ sagt Hasenhüttl. Er wurde Küngs Assistent in Tübingen, beide hat der Vatikan als allzu aufsässig gemaßregelt. Lehmann wurde Rahners Assistent auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–65) in Rom, sie überschritten in ihrer Theologie nie die rote Linie. Die zog in den vergangenen Jahrzehnten einer, den alle vier aus Rom und Tübingen sehr gut kennen: Joseph Kardinal Ratzinger, der oberste Glaubenshüter der Kirche Roms.

Küng, Rahner und Ratzinger gelten als die drei einflussreichsten Theologen des Konzils. Manchmal ist sie wie ein Dorf, diese Weltkirche mit ihren mehr als einer Milliarde Gläubigen.

Ganz am Rande dieses Dorfes hat sich Hasenhüttl niedergelassen. Wer ihn in Saarbrücken besucht, wird begrüßt von einem freundlichen, rüstigen 70-Jährigen mit einem leichten österreichischen Akzent – Hasenhüttl wurde in Graz geboren. Nicht alle, heißt es an seiner Uni, kämen mit seinem Hang zur „Schmäh“ zurecht. Aber im Gespräch mit dem Professor kann man viel lachen. Ob der schwülen Hitze trägt Hasenhüttl so etwas wie ein schwarzes Hawaiihemd. Das Wohnzimmer ist zugleich sein Büro.

„Leistet niemals einen Kadavergehorsam“, das habe Pater Klein immer wieder betont, sagt Hasenhüttl fast zu Beginn des Gesprächs. Solches Duckmäusertum verlangten katholische deutsche Bischöfe von ihren Priestern, hatte der emeritierte Saarbrücker Professor nach seiner Suspendierung öffentlich geklagt. „Es ging mir darum, den blinden Gehorsam in der katholischen Kirche zu verurteilen. Es ist der unethische Gehorsam, der die deutschen Bischöfe vor wenigen Jahren etwa dazu getrieben hat, sich am Ende der harten Linie Roms bei der Schwangerenkonfliktberatung zu beugen.“ Obwohl dadurch ungeborenes Leben de facto weniger statt mehr geschützt wird. Kardinal Lehmann hatte sich in diesem Konflikt mit Ratzinger fast aufgerieben, schließlich aber um der Einheit der katholischen Kirche in Deutschland willen eingelenkt.

Hasenhüttl habe solche Konzessionen nie gemacht, er wählte immer den radikalen Weg. Seine Promotion im Fach Theologie 1962 hatte das Denken Rudolf Bultmanns (1884–1976) zum Thema, der für die evangelische Theologie des 20. Jahrhunderts in seiner Bedeutung nur dem Nazigegner und modernen Märtyrer Dietrich Bonhoeffer nahe kommt. Bultmann entmythologisierte das Neue Testament von Grund auf, weshalb er konservativen Katholiken noch heute fast als der Leibhaftige gilt. Hasenhüttl nun übernahm nicht nur wesentliche Gedanken Bultmanns, sondern radikalisierte ihn insofern, als er dessen Entmythologisierung auch auf die katholischen Dogmen ausweitete. Gott ist demnach kein Gegenüber, sondern eine Beziehung, eine Liebesbeziehung. Er ist, wo Liebe ist. Fast unnötig zu erwähnen, dass Spiritual Klein den Studenten Hasenhüttl in Rom damals darin bestärkte, über Bultmann zu promovieren.

Seine zweite Dissertation, über Jean-Paul Sartre in Philosophie, schrieb Hasenhüttl neun Jahre später in Tübingen, wo auch Küng lehrte. Der Titel des Buches, das aus dieser Dissertation entstand: „Gott ohne Gott“. Aus diesen Jahren kennt Hasenhüttl Ratzinger. Er kutschierte ihn, weil der spätere Kardinal nicht Auto fahren kann, durch die Gegend. Damals „galt er noch als liberal“, sagt Hasenhüttl maliziös über den Kirchenfürsten. Küng setzte sich seinerzeit dafür ein, dass Ratzinger einen Lehrstuhl in Tübingen erhielt, Ratzinger half Hasenhüttl beim Erwerb einer Dozentenstelle am Neckar. So kann man sich täuschen.

Heute sagt Ratzinger über Hasenhüttl: „Was er geschrieben hat, ist nicht katholisch.“ Tatsächlich kann man sich vorstellen, wie Ratzinger bei den Publikationen Hasenhüttls immer mehr die Haare zu Berge standen: „Herrschaftsfreie Kirche“ und „Christentum ohne Kirche“ – Ratzinger dürfte das Lesen der Titel gereicht haben, um zu ahnen, dass ihm der Inhalt auf den Magen schlagen würde. Kleine Kostprobe: „Christentum ohne Kirche ist keine negative, destruktive und dekadente Erscheinung, die als ein trauriger Reflex ungläubiger Menschen zu werten ist, sondern ernstzunehmendes Christentum, Korrektur der Kirche auf die christliche Botschaft hin.“

Und dann schrieb Hasenhüttl nach einem Besuch beim Befreiungstheologen Leonardo Boff in Brasilien auch noch das Buch „Freiheit in Fesseln. Die Chance der Befreiungstheologie. Ein Erfahrungsbericht“. Ratzinger war es, der Boff zuerst mundtot machte und schließlich die marxistisch geprägte Befreiungstheologie köpfte.

So ist es nicht verwunderlich, dass die kritischen Laieninitiativen „Kirche von unten“ und „Wir sind Kirche“ im Vorfeld des Ökumenischen Kirchentags vor einem Jahr ausgerechnet an Hasenhüttl heran traten mit der Frage, ob er öffentlich ein ökumenisches Abendmahl zelebrieren wolle: „Ich habe nicht eine Minute gezögert und selbstverständlich zugesagt. Das lag in der Konsequenz meiner Theologie.“ Wie könnte auch ein Gott, der liebevolle Beziehung ist, Mitchristen von der Liebesfeier Eucharistie ausgrenzen?

Nach der provokativen Messe sprang Kardinal Lehmann seinem ehemaligen Kommilitonen ein wenig bei: Hasenhüttl habe ja nur Protestanten zur Eucharistie eingeladen, nicht mit ihnen gemeinsam Abendmahl gefeiert. Er sei nicht sicher, ob es überhaupt Sanktionen geben werde, sagte der Kardinal, „vielleicht gibt es auch nur eine Ermahnung.“ Bischof Marx aber wählte die (fast) härteste Strafe: die Suspendierung Hasenhüttls von seinen priesterlichen Aufgaben.

Hasenhüttls alter Mit-Germaniker Küng kritisierte die Strafe als unnötig. An die Kardinäle Wetter und Lehmann schrieb Hasenhüttl einen Brief in Duzform wie unter Alt-Germanikern üblich. Wetter hatte die Maßnahme von Bischof Marx gegen den renitenten Professor öffentlich als „verantwortlich“ gelobt. Nach Auskunft Hasenhüttls erhielt er weder von Lehmann noch von Wetter eine Antwort.

Im Streit der alten Kommilitonen hat Hasenhüttl bereits zweimal Beschwerde eingelegt. Wird er zu Kreuze kriechen und öffentlich Reue über seine Tat bekunden, was die Suspendierung sofort beenden würde? „Ich werde nicht bereuen und nicht versprechen, es nie wieder zu tun“, sagt er in seinem Wohnzimmer mehrmals. „In diesem Punkt würde ich sonst die Achtung vor mir selbst verlieren.“ Er verweist auf zwei Gruppen von Priesterkollegen in den Bistümern von Rottenburg und Trier, die sich für ihn öffentlich eingesetzt haben.

Und Hasenhüttl erinnert an eine Meinungsumfrage, nach der sich 88 Prozent der Katholiken für ein gemeinsames Abendmahl mit Protestanten aussprechen. Als er seinerzeit in Rom einen Lehrer fragte, was zu machen sei, sollte man gezwungen sein, öffentlich eine eigene Überzeugung zu widerrufen, riet der Hasenhüttl, einfach ein unterschriebenes weißes Blatt an die Glaubenskongregation zu schicken. Die könne dann damit machen, was sie wolle. Demutsgeste und Provokation in einem. Der Name des Ratgebers: Pater Wilhelm Klein.