Fairer Handel? Nicht die Bohne!

Auf ihrer Konferenz stemmt sich die Unctad gegen ihre anhaltende Marginalisierung. Der Süden bekommt Recht auf mehr Spielräume in Handelsfragen

AUS SÃO PAULO GERHARD DILGER

Annol Phylidor greift mit beiden Händen in einen Sack voll Kaffeebohnen. Hinter ihm stehen zwei Esel, vor ihm drängt sich ein Pulk von Fotografen. Vor dem Messegelände von São Paulo will der 46-jährige Kleinbauer aus dem Nordosten Haitis auf die verzweifelte Lage von Millionen Kaffeeproduzenten in über 50 Ländern aufmerksam machen. 200.000 Menschen seien in Haiti direkt von der Kaffeekrise betroffen, berichtet der schmächtige Mann: „Seit 1997 ist der Weltmarktpreis um die Hälfte gefallen.“

Oxfam International hat die PR-Aktion am Rande der fünftägigen UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (Unctad) organisiert. „Die Unctad muss eine Vorreiterrolle spielen, damit wir einen fairen Preis für unseren Kaffee bekommen“, sagt Phylidor. Dass das Thema zumindest einen Tag lang für Aufsehen sorgen wird, ahnt er nicht.

Umringt vom Tross seiner Assistenten, kommt wenig später Unctad-Generalsekretär Rubens Ricupero auf den Haitianer und seine Kollegen aus Honduras und Brasilien zu. In drei Sprachen verspricht er ihnen Rückendeckung und unterschreibt anschließend eine Oxfam-Petition für eine gerechtere Regelung des Welthandelssystems. Stunden später erläutert er vor den Konferenzteilnehmern, der Anteil der Produzenten am Kaffeegeschäft sinke ständig. Vor zwanzig Jahren hätten die Bauern noch über ein Drittel des Gesamtumsatzes erhalten, heute seien es nicht einmal mehr 8 Prozent – 5,5 von 70 Milliarden Dollar. Die nötigen Ausgleichszahlungen müssten von Kaffeefirmen oder multilateralen Organisationen wie der Weltbank organisiert werden, meint Ricupero und schlägt vor, eine hochrangig besetzte Kommission zu dem Thema einzusetzen.

Das Dilemma des Generalsekretärs ist auch das der Unctad: Die Funktionäre müssen sich auf Analysen und Appelle beschränken. Ihre Blütezeit hatte die 1964 gegründete Organisation in den Siebzigerjahren. Damals forderten die Länder des Südens lautstark eine „neue Weltwirtschaftsordnung“, die sie nicht mehr benachteiligt. Doch es kam ganz anders. Durch die Globalisierung hat sich die Kluft zwischen Arm und Reich weltweit vertieft. Und die Märkte der 50 ärmsten Länder sind offener als jene der 30 reichsten, wovon vor allem transnationale Großkonzerne profitieren, wie in der jüngsten Unctad-Studie nachzulesen ist.

Innerhalb der Welthandelsorganisation (WTO) zeigt sich inzwischen aber das langsam wiedererstarkte Selbstbewusstsein des Südens: Unter der Führung Brasiliens und Indiens wollen die G-20-Entwicklungsländer eine Einigung bei den WTO-Handelsgesprächen so lange blockieren, wie die USA und die EU keine Abstriche an ihren Milliardensubventionen für die Landwirtschaft machen. Diese Botschaft hatten sich schon EU-Handelskommissar Pascal Lamy und US-Handelsbeauftragter Robert Zoellick, die eigens nach Brasilien gereist waren, anhören müssen.

Eine „neue Geografie des Handels“ nennt Brasiliens Präsident Lula da Silva das Ziel des Plans, stärker auf Süd-Süd-Kooperation zu setzen, etwa durch das Globale System von Handelspräferenzen [GSTP; siehe taz vom 18. 6.]. Auch durch das Ergebnis der zähen Verhandlungen darf er sich bestätigt fühlen: In dem gestern von allen 178 Delegationen verabschiedeten „São-Paulo-Konsens“ werden für die Länder des Südens mehr „Politikspielräume“ für eigenständige Entwicklungswege gefordert.

Der Versuch, die Unctad mit der Ausarbeitung von weltweit verbindlichen Normen für transnationale Unternehmen zu beauftragen, scheiterte allerdings am Widerstand der USA und an der Zurückhaltung der EU. Dennoch sehen die meisten NGOs in der Konferenz ein „Hoffnungszeichen“, dass sich der Süden weiterhin gegen eine Handelsordnung wehren wird, die ausschließlich den Industriestaaten zugute kommt.

Doch die oft proklamierte Einigkeit der Entwicklungsländer hat Risse. Just zur Konferenz eskalierte der an der Soja entbrannte Konflikt zwischen Brasilien und China. Seit April haben die Chinesen mindestens fünf angeblich mit Pflanzengiften verseuchte Sojaladungen nach Brasilien zurückgeschickt. Die brasilianischen Sojafarmer dagegen geben den Chinesen die Schuld am Einbruch des Weltmarktpreises seit Anfang Mai. Zur Unctad-Tagung schickte Peking nicht einmal einen Minister.

Auch die Euphorie über die Wiederbelebung des GSTP wird nicht von allen geteilt. Gerade für die ärmeren Länder könnte die Senkung von weiteren Importzöllen ähnliche Folgen haben wie die von den Industriestaaten aufgezwungene Marktöffnung. „Handel allein ist kein Wundermittel zur Armutsbekämpfung“, meint der UN-Funktionär Anwarul Chowdury. Kaffeebauer Annol Phylidor weiß ein Lied davon zu singen.