US-PRÄSIDENT BUSH VERLIERT SEINE GLAUBWÜRDIGKEIT : Der patriotische Konsens ist aufgebrochen
Die gefälschten Geheimdienstinformationen zum behaupteten Uranhandel zwischen Niger und Irak haben die Regierung von George W. Bush in die schwerste Krise seiner Amtszeit stürzte. Noch ist Bushs Wiederwahl nicht gefährdet. Nach Umfragen ist seine Popularität weiterhin hoch, auch wenn sie sinkt. Der Kongress ist fest in der Hand der Republikaner, die den Forderungen der Demokraten nach Untersuchungsausschüssen trotzen. Die Demokraten sind zwar aus ihrer Angriffsstarre erwacht, doch bevor sich das Feld der neun Präsidentschaftskandidaten nicht gelichtet hat, werden die Wähler nur schwer eine Alternative erkennen. Und bis zur Wahl sind es noch 14 Monate. Sollte sich doch noch eine ABC-Waffe oder Saddam Hussein finden oder der Guerillakrieg verebben, ist die US-Regierung aus dem Schneider.
Doch Bush ist angeschlagen und nervös. Die PR-Maschine des Weißen Hauses stockt. Die einst vor Selbstsicherheit und Optimismus strotzenden Neokonservativen, die Bushs Außenpolitik den ideologischen Unterbau gaben, sind abgetaucht. Bushs wichtigste Attribute stehen auf dem Spiel: In Abgrenzung zu Bill Clinton hatte er immer wieder eine glaubwürdige Politik versprochen. Nun windet er sich in Phrasen und schiebt die Verantwortung auf andere. Sein Vorgänger lässt grüßen.
Wenn das mediale Sommerloch mit Nachrichten über Gewalt, toten Soldaten und Chaos aus Irak gefüllt wird, stehen wir am Anfang vom Ende der Präsidentschaft Bushs. Ein rascher Ausweg ist für ihn nicht in Sicht. Zwar buhlt seine Regierung um internationale Hilfe, doch UNO-Bürokratie und der Widerwille anderer Staaten, Truppen zu schicken, rücken eine Entlastung in weite Ferne.
Die größte Gefahr: Mainstream-Medien greifen die Regierung an, vor allem das Fernsehen, Stützpfeiler der Regierung, solange alles nach Plan lief. Selbst die Bannerträger des Patriotismus, US-Soldaten im Irak, sind mittlerweile so frustriert, dass sie vor laufender Kamera den Rücktritt von Pentagonchef Donald Rumsfeld fordern. Der patriotische Konsens, der seit dem 11. September herrschte, ist aufgebrochen. MICHAEL STRECK