: Bolivien bleibt ein gespaltenes Land
Eine Mehrheit der BolivianerInnen stimmt der neuen Verfassung Boliviens zu. Doch so hoch, wie sich Präsident Evo Morales das vorgestellt hatte, fällt das Ja nicht aus. Und in den oppositionell regierten Provinzen des reicheren Tieflands siegt das Nein
VON JÜRGEN VOGT
„Der Kolonialstaat ist zu Ende“, sagte Boliviens Präsident Evo Morales am Sonntagabend in einer Rede vom Balkon des Präsidentenpalastes Quemada. „Heute haben wir ein neues Bolivien mit Chancengleichheit für alle Bolivianer gegründet.“ Damit verkündete Evo Morales die Annahme der neuen Verfassung. Mit 58,7 Prozent der Stimmen hatte das „Ja“ zur neuen Verfassung beim Referendum deutlich obsiegt. Die Abstimmung der knapp vier Millionen Wahlberechtigten war friedlich verlaufen. Mehr als 300 internationale Wahlbeobachter hatten den Ablauf des Referendums beobachtet.
Nach den bisher veröffentlichten Zahlen wurde die Verfassung landesweit mit der nötigen einfachen Mehrheit der Wahlberechtigten angenommen. Mit einer Ablehnung der Verfassung war ohnehin nicht gerechnet worden, allerdings hatte Präsident Evo Morales auf eine Rekordzustimmung jenseits der 70 Prozent gehofft.
Die höchste Zustimmung wird aus den Hochlandprovinzen Potosí (76,3 Prozent Jastimmen) und La Paz (74 Prozent) gemeldet. In den oppositionellen Tieflandprovinzen ergeben die bisherigen Auszählungen jedoch eine mehrheitliche Ablehnung. Deshalb herrschten auch hier in den Hochburgen der Opposition überwiegend Zufriedenheit und Feierlaune. So gewannen die Gegner der neuen Verfassung in den Provinzen Tarija (65,2 Neinstimmen), Beni (65,1 Prozent) und Santa Cruz (63,8 Prozent).
In einer zweiten parallelen Abstimmung entschied die Bevölkerung, ob die Höhe des privaten Landbesitzes in Zukunft 5.000 oder 10.000 Hektar nicht überschreiten darf. 78 Prozent stimmten für eine Begrenzung auf 5.000 Hektar. Gegenwärtig sind 50.000 Hektar Privatland erlaubt. Eine generelle Ablehnung der Begrenzung stand nicht zur Wahl, weshalb der 25-prozentige Anteil der leeren Stimmzettel als Nein gewertet werden kann. Die Regierung hat jedoch betont, dass die neue Obergrenze nicht rückwirkend gilt. An den gegenwärtigen Landbesitzverhältnissen wird sich also zunächst nichts ändern. Jedoch erlaubt die neue Verfassung dem Staat, künftig Land zu beschlagnahmen, das seine „landwirtschaftliche und soziale Funktion“ nicht erfüllt.
Durch die Annahme der Verfassung ist Bolivien ein Vielvölkerstaat mit 37 offiziellen Sprachen, der die Glaubensfreiheit garantiert und die Trennung von Staat und Religion festschreibt. Der Katholizismus ist damit als Staatsreligion abgeschafft. Zudem erhalten die Provinzen mehr Autonomie. Den indigenen bäuerlichen Völkern und Nationen ist der Schutz ihrer kulturellen Identität, ihrer sozialen wie politischen Strukturen und Institutionen zugesichert. Zudem garantiert der Staat das Recht auf Ernährung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Arbeit, Rente, Trinkwasser und angemessene Entlohnung.
Die neue Verfassung erlaubt Präsident Morales die direkte Wiederwahl zu einer zweiten Amtszeit. Bislang sieht die Verfassung Boliviens nur eine einmalige fünfjährige Amtszeit des Präsidenten vor. Bei einer Ablehnung hätte Morales 2011 aus dem Amt scheiden müssen. Die Opposition hatte der Regierung vorgeworfen, dass der Entwurf nicht das Ergebnis eines transparenten und demokratischen Prozesses sei.
Zudem sei keiner der 411 Paragrafen mit der vereinbarten Zweidrittelmehrheit von der verfassunggebenden Versammlung beschlossen worden.
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