: SPD setzt alles auf Müller
Michael Müller eint die erhitzte Parteibasis. Mit fast 90 Prozent der Stimmen wird er Nachfolger des abgetretenen Peter Strieder. Nur die Bundespolitik wird auf dem Landesparteitag heftig kritisiert
VON RICHARD ROTHER
So ist Michael Müller: bescheiden, zurückhaltend. Ein paar Minuten nach seiner Wahl packt der neue SPD-Landesvorsitzende am Rande des gestrigen Parteitags eine mitgebrachte Stulle aus, beißt hinein und schüttelt Hände, die ihm lachende Genossen reichen. Zuvor war der Berliner SPD-Fraktionschef mit 87,7 Prozent der Stimmen zum Landesvorsitzenden gewählt worden. Müller tritt damit die Nachfolge von Peter Strieder an, der wegen der Affäre um die Kreuzberger Kulturstätte Tempodrom zurückgetreten war. Die ehemalige Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) wurde nur knapp zu Müllers Stellvertreterin gewählt. Weitere Stellvertreter, die auf dem Landesparteitag deutliche Mehrheiten erzielten, sind Iris Spranger, Christian Hanke und Marc Schult.
Zuvor hatte der 39-jährige Müller in seiner Rede versucht, der Berliner SPD nach der empfindlichen Niederlage bei der Europawahl neuen Mut einzuhauchen. Die SPD dürfe nicht nur mit finanzpolitischen Themen in Verbindung gebracht werden, forderte Müller, der ein Vertrauter des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) ist. Zwar müsse sich jeder, der Geld aus der Landeskasse bekomme, fragen, wie er es verwende – Sparen dürfe aber kein Selbstzweck sein, so Müller. Im Übrigen gebe es in Berlin so genannte Überausstattungen, die richtig und gewollt seien. „Beim Kinderbetreuungsangebot sind wir führend“, sagte Müller und erntete erwartungsgemäß den Beifall seiner Genossen.
Müller forderte zudem die Berliner SPD auf, sich mehr in die Bundespolitik einzumischen – etwa in der Steuer- und Gesundheitspolitik. Auf dem Arbeitsmarkt habe Berlin kein Vermittlungs-, sondern ein Stellenangebotsproblem. Deshalb müsse Berlin wieder Standort produzierender Unternehmen werden. „Wir dürfen nicht die Hauptstadt der Kaffeehäuser und Handyläden werden“, forderte Müller. Weiteren Privatisierungen von Landesunternehmen erteilte Müller eine Absage. Mit dem Thema müsse sehr sensibel umgegangen werden. Auch auf die Gewerkschaften will Müller nun wieder einen Schritt zugehen. Diese dürften sich allerdings nicht an dem Volksbegehren beteiligen, das die Abwahl des rot-roten Senats zum Ziel habe.
Für seine Rede erntete Müller viel Beifall – er vertrat die Sparpolitik des rot-roten Senats, kam aber auch sozialen Forderungen der Basis entgegen. Kaum Beifall bekam im Gegensatz dazu Klaus Uwe Benneter, der aus Berlin stammende SPD-Generalsekretär. Dessen müde Weiter-so-Rede, in der er Kritiker der Agenda 2010 als „undisziplinierte und unsolidarische Kronzeugen aus den eigenen Reihen“ bezeichnete, stieß bei vielen Delegierten auf deutliche Kritik.
„So lange wir Hartz IV und das Arbeitslosengeld II machen, sind wir keine Partei der sozialen Gerechtigkeit“, sagte ein Kreuzberger Delegierter. Einer aus Mitte kritisierte: „Auf der Suche nach der neuen Mitte hat sich die SPD verloren.“ Er forderte Nachbesserungen bei den Reformvorhaben der rot-grünen Bundesregierung. Eine Delegierte aus Steglitz brachte ihre Wahlkampferfahrungen auf der Straße so auf den Punkt: „Ich bin im Wesentlichen beschimpft und kritisiert worden.“
Inhaltliche Korrekturen an der Landespolitik forderte der Parteitag gestern jedoch nicht. Anträge, die sich gegen Kita- und Studiengebühren richteten, wurden an einen Fachausschuss verwiesen. Dieser soll nun ein Gesamtkonzept zur Finanzierung von Bildungspolitik erarbeiten.
Auch beim Thema Privatisierung folgte der Parteitag dem Landesvorstand. Die BVG soll demnach im Landesbesitz bleiben.