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Archiv-Artikel

Der Handel mit den Doktorhüten

Ein Schauspieler gibt den Wissenschaftler. Ein Maler spielt den Kanzleidirektor. Zusammen verkaufen sie falsche Promotionstitel. Den Kunden will eingeleuchtet haben, dass Professoren wegen der Finanzkrise an den Unis auf Spenden setzen. Nun stehen der Maler und der Schauspieler vor Gericht

„Die beiden haben eine ziemliche Show abgezogen“

von KIRSTEN KÜPPERS

Der Richter bittet den Mann, der den elegantesten Anzug trägt, nach vorne. Es ist der Zeuge Lutz W., von Beruf Wirtschaftsingenieur. Ein viel beschäftigter Mann, 43 Jahre alt. „Ich habe wenig Zeit“, sagt Lutz W. mehrmals bei seiner Vernehmung, er guckt auf die Uhr. Der Anzug und die Uhr verleihen der Person W. eine Sicherheit, auf die er erkennbaren Wert legt. Eine Sicherheit, die es braucht für das Leben in besseren Lagen. Ein Doktortitel hätte dieses angenehme Gefühl bei Wirtschaftsingenieur W. noch verstärkt. Es hätte gut geklungen: „Doktor Lutz W.“. Es hätte gut ausgesehen auf der Visitenkarte. Lutz W. wollte diesen Doktortitel haben. Aber er ist ein sehr beschäftigter Mann. Er hatte keine Zeit, selbst eine Dissertation zu schreiben, sagt er. Im August 2001 nahm er sich daher einen Tag frei und lief zum Kurfürstendamm. Er suchte dort das Büro der Kanzlei „Akademus“ auf.

Jetzt sitzt Lutz W. als Zeuge im Gerichtssaal. Die Kanzlei Akademus hat gefälschte Doktortitel verkauft. Mindestens 71 Mal, sagt die Staatsanwaltschaft. Verdient hat sie mit diesem Geschäft rund 1,2 Millionen Euro. Bis zu 44.000 Euro haben Kunden wie Lutz W. für eine Promotionsurkunde bezahlt. Sie haben das Geld an den 34-jährigen Martin D. überwiesen, einen gelernten Maler und Lackierer. D. war der Chef der Kanzlei Akademus. Er und sein 54-jähriger Komplize sind nun vor dem Landgericht angeklagt. Ihnen wird Betrug und Urkundenfälschung vorgeworfen.

Es kamen Menschen aus ganz Deutschland, die sich von den beiden den Namen mit einer akademischen Auszeichnung verschönern lassen wollten. Einer der Kunden wurde mit dem neuen „Dr.“-Kürzel Professor an einer Fachhochschule in Bayern, musste den Posten aber wieder abgeben, als der Schwindel bekannt wurde. Ein 70-jähriger Pfarrer hat bei Akademus einen Doktortitel gekauft, um ihn später auf seinem Grabstein stehen zu haben. Weitere Klienten waren ein Manager aus der Führungsetage von DaimlerChrysler, ein ehemaliger BKA-Beamter, ein Bankdirektor, ein Kfz-Sachverständiger, ein Immobilienmakler. Außerdem Anwälte, Ärzte, Lehrer und Politiker. Sie alle besuchten irgendwann in den Jahren 2000 bis 2002 das Büro am Kurfürstendamm. So wie es der Zeuge Lutz W. getan hat.

Dort trafen sie auf den Hauptangeklagten Martin D., einen schlanken wortgewandten Mann, der ihnen eine problemlose und rasche Abwicklung der Angelegenheit versprach. Die Universitäten litten sehr unter den derzeit über sie hereinbrechenden Mittelkürzungen, pflegte D. seinen Kunden zu erklären. Deswegen seien Professoren als Gegenleistung für eine angemessene Spende an den Fachbereich gerne bereit, den Spendern eine zügige Promotion zu erteilen.

„Diese Theorie schien mir durchaus plausibel“, erzählt der Zeuge Lutz W. dem Richter. Für das Verfassen und Fertigstellen der Doktorarbeiten war ein weiterer Akademus-Komplize zuständig, ein derzeit in einem abgetrennten Verfahren angeklagter Werbefachwirt. Auch ihn haben die Klienten in den Räumlichkeiten am Ku’damm kennen gelernt. Die meisten haben daraufhin den Vertrag mit Akademus schnell unterzeichnet und erste Geldbeträge überwiesen.

Bei seinem nächsten Besuch im Akademus-Büro traf Lutz W. auf seinen vermeintlichen Doktorvater. Einen älteren Herrn mit grauer Hose, der keine Krawatte trug. „Er sah für mich wie ein typischer Wissenschaftler aus“, erzählt W. Der Mann überreichte ihm eine Immatrikulationsbescheinigung der Universität Hamburg. Das Papier war gefälscht. Auch der Professor war nicht echt. Es handelte sich um den Mann, der nun als zweiter Angeklagter im Prozess sitzt: Um den Schauspieler Norbert W.

Der hat von Wissenschaft nicht viel Ahnung. Bereits am ersten Prozesstag hat er ausgesagt, sich alles damit Zusammenhängende vor allem aus dem Fernseher abgeguckt zu haben: „Ich kannte höchstens Professor Brinkmann aus der Schwarzwaldklinik.“ Das ist nicht viel für einen, der einen überzeugenden Doktorvater geben muss. Während seiner Auftritte als Professor war Norbert W. deshalb die meiste Zeit damit beschäftigt, „Momente zu vermeiden, dass mich einer mal was Fachliches fragt“. Er war es auch, der bei dem jeweiligen Kunden zum vereinbarten Termin mit vorgeblicher Feierlichkeit die Promotionsurkunde überreicht hat. „Es funktionierte hervorragend“, sagte Norbert W. bei seiner Vernehmung. Die Sache ging zwei Jahre lang gut.

„Er sah für mich wie ein echter Wissenschaftler aus“

Aufgeflogen ist der Betrug im Februar vergangenen Jahres durch einen misstrauischen Sachbearbeiter im Einwohnermeldeamt Ingolstadt. Bei den Meldeämtern lassen sich die Beamten die Promotionsdokumente vorlegen, bevor sie einen Doktortitel ganz offiziell im Personalausweis eintragen. Der Sachbearbeiter aus Ingolstadt traute den Unterlagen nicht, er nahm den Hörer in die Hand und rief beim Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Freien Universität (FU) Berlin an. In den folgenden Wochen gab es mehrere solch hektische Anrufe bei diversen Universitäten im Land. Der Chef der Akademus-Kanzlei Martin D. floh in die Schweiz, kurz darauf wurde er dort verhaftet.

Während nun seit Mitte Mai am Berliner Landgericht die Verhandlung läuft, die Richter viele Zeugen wie den gut gekleideten Lutz W. befragen und diese immer wieder beteuern, sie hätten geglaubt, das Geschäft mit den Doktortiteln sei völlig legal. Während dann der Angeklagte Martin D. seine Kontoeingänge verliest und den heimlichen Stolz über die hohen Beträge kaum verbergen kann. Und während der Schauspieler Norbert W. dem Geschehen eher in behäbiger Gelassenheit folgt – während das alles passiert, fällt hinten im Gerichtssaal ein älterer Herr auf.

Er sitzt da mit übereinander geschlagenen Beinen und lächelt. Es ist ein echter Professor mit echtem Doktortitel. Heinz-Günter Geis lehrt am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der FU. Er ist gekommen, um sich seinen Doppelgänger anzusehen. Oft hatte sich der Schauspieler bei den Auftritten in der Akademus-Kanzlei als Professor Geis ausgegeben. „Eine gewisse Ähnlichkeit im Gesicht ist da“, meint der echte Heinz-Günter Geis. Sein Lächeln wirkt ein bisschen gespannt, wie er das sagt.

Nach drei Monaten wird nun am Mittwoch im Prozess um die Kanzlei Akademus ein Urteil erwartet. Die Angeklagten haben alles zugegeben, der Staatsanwalt fordert für den früheren Maler und Lackierer Martin D. fünf Jahre Haft, für den Schauspieler Norbert W. drei Jahre. Er sagt, die beiden hätten „eine ziemliche Show abgezogen“.