: Das Metaller-Paradox
Peters und Huber sollen es richten – doch Personalfragen sind nicht das Hauptproblem der IG Metall. Sie ist Spannungen ausgesetzt, die langfristig ihr Ende bedeuten können
Der Personalzwist bei der IG Metall ist entschieden. Der „Reformer“ Berthold Huber und der „Traditionalist“ Jürgen Peters stellen das Führungsduo. Dieser Kompromiss ist weise, sonst hätte sich die Gewerkschaft gespalten. Aber das ungleiche Paar passt nicht nur taktisch, sondern auch strukturell: Nichts symbolisiert die immensen Spannungen besser, welche die IG Metall aushalten muss – und nicht überwinden kann. Drei Paradoxien bedrohen die Gewerkschaft. Aufzulösen sind sie kaum, auch nicht durch so nachdenkliche und begabte Führungsfiguren wie Huber.
Paradox 1: Die IG Metall kann die Haupterwartung nicht erfüllen, die die Gesellschaft und die eigenen Mitglieder an sie richten. Sie kann keine neuen Arbeitsplätze schaffen – und nicht alle vorhandenen Jobs sichern.
Zur Ausgangslage: Der stereotype Vorwurf lautet, dass die Gewerkschaften „nur die Interessen ihrer Mitglieder vertreten, und das auf Kosten der Arbeitslosen“. Diese Anschuldigung ist schon deswegen witzlos, weil sich die IG Metall nur zu gern wirkungsvoll für Arbeitslose einsetzen würde. Schließlich kann sie behaupten, „die größte Arbeitslosenorganisation Deutschlands“ zu sein. Über 300.000 ihrer Mitglieder sind erwerbslos, kein Verein hat mehr zu bieten. Zudem ist Arbeitslosigkeit auch für die beschäftigten IG Metaller das Thema. Ein „Zukunftsreport“ ergab vor zwei Jahren, dass 74 Prozent der Mitglieder erwarten, dass ihre Gewerkschaft die Arbeitsplätze sichert. Lohnsteigerungen waren dagegen nur für 54 Prozent „sehr wichtig“.
Blöd für die IG Metall: Sie hat kaum Einfluss auf die Zahl der Jobs – obwohl ihre Tarifpolitik sehr zurückhaltend ist. Aber Löhne machen in der Automobilindustrie nur noch etwa zwanzig Prozent der Kosten aus. Investitionsentscheidungen fallen meist nach anderen Kriterien. So spricht für eine Produktion im Ausland oft, Währungsrisiken zu vermeiden oder fremde Märkte zu erobern.
Huber gesteht auf Nachfrage durchaus ein, dass die Gewerkschaften keine Vollbeschäftigung erzeugen können. Aber er thematisiert dies nicht offensiv. Peters hofft begrenzt auf die 35-Stunden-Woche, wie der Streik im Osten zeigte, und forciert ansonsten eher die Klassenkampfrhetorik. Es sei die Aufgabe der Arbeitgeber, Jobs zu schaffen. Doch wenn es etwa um konkrete Notlagen bei VW geht, dann weiß auch er, dass die Betriebe rationalisieren müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Die IG Metall versucht sich daran vorbeizuschummeln, dass sie die Haupterwartung ihrer Mitglieder nicht erfüllen kann. Verständlich. Der Preis für diese wolkige Schamhaftigkeit ist allerdings hoch: Die Gewerkschaften geraten in eine Kommunikationsfalle und werden fast allein dafür verantwortlich gemacht, dass so viele Menschen arbeitslos sind.
Paradox 2: Der DGB besteht aus „Einheitsgewerkschaften“, obwohl die Arbeitsformen und Ansprüche der Beschäftigten immer weiter auseinander klaffen. Es gibt mehr Teilzeiter, Leiharbeiter, Ich-AGs und Frauen unter ihnen; viele Arbeitnehmer sind sehr gut ausgebildet und haben Spaß an ihrer Tätigkeit. Sie empfinden sich nicht als ausgebeutet, sondern wollen mehr Service von den Gewerkschaften. Sie erwarten Weiterbildungsangebote und Karriereplanung; Familie und Beruf sollen besser zusammenpassen. Das Mitglied als Kunde. Dieser Trend ist der IG Metall nicht entgangen. Kürzlich gab Exchef Zwickel die Losung aus, „wir wollen in die Mitte“. Man strebt also dorthin, wo sich SPD, CDU, FDP und Grüne schon tummeln.
Kein Zweifel, die Zukunft der Gewerkschaft hieße tatsächlich: Berufsverbände für die Gutgebildeten. So wäre es schlau, die IT-Spezialisten branchenübergeifend zu organisieren, statt dass sich etwa Ver.di und die IG Metall streiten, wer diese Spitzenkräfte verteten darf. Sollte sich der DGB nicht zu einer neuen Gewerkschaft für Ingenieure und Techniker durchringen, dann wandert diese mobile Klientel eben woanders hin. So hat sich bei Jenoptik die Christliche Gewerkschaft Metall (CGM) etabliert.
Wenn sich die IG Metall jedoch in diverse Berufsverbände spaltet, dann verliert sie ihre Geschäftsgrundlage. Die meisten ihrer Mitglieder sind Arbeiter, viele niedrigqualifiziert. Bisher haben sie davon profitiert, dass durch die Tarifverträge die Gutausgebildeten teilweise die Löhne der schlechter Qualifizierten finanziert haben. Oben in der Gehaltspyramide gab es prozentual weniger, als es der Produktivität des Angestellten entsprach – unten mehr. Wenn sich nun die Gutverdienenden in eigenen Verbänden absondern, dann funktioniert dieser Transfer nicht mehr. Alle Mitglieder mit eher geringen Chancen auf dem Arbeitsmarkt werden sich vehement gegen solche Umstrukturierungen ihrer Gewerkschaft wehren.
Sollte die IG Metall trotzdem in die „Mitte“ rücken, dann stellt sich gesamtgesellschaftlich erst recht die Frage, wer eigentlich die Nichtprivilegierten vertreten soll. Denn die Parteien haben diese Zuständigkeit ja längst abgetreten. Es ist schon skurril: Einerseits wird von den Gewerkschaften verlangt, dass sie sich um Arbeitslose kümmern, andererseits sollen sie sich so modernisieren, dass sie für gutverdienende Akademiker attraktiv sind. Beides schließt sich aber aus.
Paradox 3: In den Personalquerelen wurde deutlich, wie viele IG Metaller inzwischen den Flächentarifvertrag weiter zurückdrängen wollen. Sie wünschen sich stärkere Betriebsräte und betriebsnahe Tarifpolitik. Schließlich entwickeln sich Branchen und Firmen auseinander. Huber reagiert, indem er den „zweistufigen Tarifvertrag“ vorschlägt. Einen Mindeststandard für alle – bei prosperierenden Firmen wird draufgelegt. Porsche-Angestellte könnten dann wahrscheinlich Lohnerhöhungen von zehn Prozent einfahren. Peters hielt bisher dagegen, weil er um den Zusammenhalt und die Schlagkraft der Gewerkschaften fürchtet. Aber wahrscheinlich lassen sich die Eigeninteressen in erfolgreichen Firmen nicht mehr bremsen.
Eines fällt bei den „Reformern“ allerdings auf: Während sie den Flächentarifvertrag auf deutscher Ebene begrenzen wollen, fordern sie – oft sogar im gleichen Interview – die „Europäisierung der Gewerkschaften“. Sie sollen sich international zusammenschließen, damit die Standorte nicht gegeneinander ausgespielt werden. Diese Antwort auf die Globalisierung klingt gut, wäre aber eine Art europäischer Flächentarifvertrag. Länderübergreifend soll also genau das verhindert werden, was hier vor Ort als Lösung gilt: Betriebe sollen nicht dadurch konkurrieren können, dass sie die Löhne drücken.
Während Peters sich diesen Paradoxien gar nicht erst stellt, verspricht Huber konstruktive Lösungen. Das ist besser, als die Probleme zu leugnen. Dennoch könnte diese Strategie ein weiteres Paradox produzieren: Gerade weil Huber Hoffnung macht, dürfte die Enttäuschung hinterher um so größer sein. Denn die Probleme übersteigen die Reformkraft einer Einheitsgewerkschaft – weil sie längst ihr Ende ankündigen. ULRIKE HERRMANN