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Archiv-Artikel

Im reichen Süden ist man weiter

Vorteil Huber: Die florierende Autobranche rund um Stuttgart ermöglicht eine flexiblere Tarifpolitik

Huber: „Der Sozialstaat ist nicht gefährdet, wenn einzelne Leistungen gekürzt werden“

BERLIN taz ■ Nur einmal in dem monatelangen Machtkampf herrschte Harmonie bei der IG Metall. Es war ausgerechnet der Kanzler, der die Lager für einen Moment zusammenschweißte. Er mischte sich in den Führungsstreit ein und riet der IG Metall, sich an der reformfreudigen Chemiegewerkschaft IG BCE unter Hubertus Schmoldt zu orientieren, die für maßvolle Lohnabschlüsse steht.

IG BCE war das falsche Stichwort. Zumindest für die Metaller. „Huber ist kein Schmoldt“, sagen selbst Anhänger von Jürgen Peters über den baden-württembergischen Bezirksleiter Berthold Huber. Und: „Huber ist Peters näher als Schmoldt.“

Ist also nichts dran an den Etiketten „Modernisierer“ und „Traditionalist“? Huber hier, Peters da? Die IG Metall, sagt der Berliner Gewerkschaftsforscher Hans-Peter Müller, sei ein „großer Gesinnungsverband, der alle Lager umschließt“. Und: „Der Kitt der Organisation ist eine linke, sozialemanzipatorische Gesinnung.“ Dieser Kitt – das zeigte Schröders Rat – hält bei äußerem Druck. Und verliert an Festigkeit, wenn es darum geht, eigene Wege zu finden, etwa bei der Tarifpolitik oder beim Thema Sozialreformen. Da gibt es tatsächlich „Lager“ oder „Strömungen“ – und die Figuren Peters und Huber sind dabei nur die personalisierten Spitzen unterschiedlicher Interessenlagen.

Die unterschiedlichen Strategien in der Tarifpolitik waren vor einem Jahr bei den letzten Lohnverhandlungen im traditionellen Pilotbezirk Baden-Württemberg zu beobachten: Huber wollte in Absprache mit seinem Chef Klaus Zwickel einsteigen in eine neue Tarifpolitik mit zweistufigen Lohnabschlüssen. Ein Teil der Lohnerhöhung sollte in den Betrieben anhand der konkreten Wirtschaftslage ausgehandelt werden. Doch Peters, der als 2. Vorsitzender der IG Metall traditionell für Tarifpolitik zuständig ist, fuhr Huber in die Parade. Er forderte „Geld, Geld und nochmals Geld“ – und bekam seine 4 Prozent Lohnerhöhung. Huber dagegen den Ärger der Arbeiter der Automobilindustrie.

Die Herkunft der beiden Protagonisten bildet eine Erklärung für Peters’ eher konservative Strategie der Besitzstandswahrung – und für Hubers qualitative Tarifpolitik. Mit den baden-württembergischen Arbeitgebern hat Huber einen Tarifvertrag zur beruflichen Qualifizierung ausgehandelt, den noch kein anderer Bezirk übernommen hat. In Betrieben wie Bosch existieren Langzeitarbeitskonten, flexible Arbeitszeiten zwischen 30 und 40 Stunden – und die Betriebe können ihr Personal nach Auftragslage einsetzen.

Eine solch erfolgsgekoppelte Tarifpolitik lässt sich offenbar nur in einem Bezirk umsetzen, in dem die wirtschaftliche Stärke der großen, florierenden Automobilhersteller (DaimlerChrysler, Porsche) Konzessionen der Arbeitgeber einfacher macht.

„Das sind Luxustarifverträge“ ist ein oft gehörter Vorwurf an die Adresse Hubers. Und der kommt aus Bezirken, in denen die Metallindustrie eher stagniert. Aus Niedersachsen beispielsweise – dem Stammbezirk von Jürgen Peters. Dort will man bei Tarifverhandlungen das Maximalniveau (eben: „Geld, Geld und nochmals Geld“) erreichen, weil eine zweite, erfolgsabhängige Lohnerhöhung nicht mehr drin wäre.

Natürlich, auch Peters hat als Bezirksleiter in Niedersachsen pragmatische Tarifpolitik gemacht – mit der Einführung der Viertagewoche und dem Modell „5.000 mal 5.000“ bei VW. Doch in seiner Funktion als 2. Vorsitzender steht er für Flächenlösungen ein – was bei den Verhandlungen im Osten mit den Streikwochen zum Desaster führte. Bei der letzten Krisensitzung gestand er denn auch ein, „über das Verhältnis von Flächen- und Haustarifen nachdenken“ zu müssen.

Die rot-grüne Reformagenda 2010 ist ein zweites Feld, auf dem die IG Metall längst nicht mehr so geschlossen ist, wie sie nach außen auftritt. Darüber täuscht auch nicht hinweg, dass sich die IG-Metall-Führung an die Spitze der Protestbewegung stellte – ohne dass ihr die Basis folgte. Auch hier ist Peters derjenige, der Maximalforderungen stellt: Er, der als einziger IG-Metall-Funktionär zum SPD-Mitgliederbegehren aufrief, ist für den vollen Erhalt sozialer Errungenschaften. Alles andere sei „neoliberale Denke“. Und zur Finanzierung muss sich der Staat zusätzliche Quellen erschließen – etwa über die Vermögensteuer. Peters will sich „nicht die großen Ziele abkaufen lassen, nur um später bei der Folgenbewältigung mitreden zu dürfen“, sagt ein Kenner.

Anders das Umfeld von Huber, das einen Konfliktkurs zu Schröders SPD als wenig erfolgreich erachtet. Die Agenda 2010 stehe unter dem Motto „Hauptsache, man tut etwas, egal was“, geißelt Huber zwar. Gleichzeitig sagt er: „Die Substanz des Sozialstaats ist nicht gefährdet, wenn einzelne Leistungen gekürzt werden.“ Und so wird im Huber-Lager zum Beispiel über die private Finanzierung von Zahnersatz nachgedacht. Oder über eine Reform des Kündigungsschutzs. Und über die Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes – nicht für ältere Arbeitnehmer, die für Huber das größte Arbeitsmarktrisiko tragen, aber für Jüngere mit geringen Beitragszeiten.

Modern oder traditionell? Die IG Metall steht auch nach der Neuauflage der Tandemlösung mit Peters und Huber vor einer Richtungsentscheidung – auch wenn es noch längst nicht in Kanzler Schröders Richtung geht: die der IG BCE. THILO KNOTT