: „Eichmann war leidenschaftlicher Antisemit“
Im niedersächsischen Landtag in Hannover widmet sich eine Ausstellung den Prozessen, die man den Nazi-Tätern der KZ Bergen-Belsen und Auschwitz machte. Das Novum der Schau: Die Besucher können ausführliche Prozessmitschnitte von damals anhören
taz: Herr Perels, warum thematisieren Sie den Auschwitz-Prozess – und nicht den viel größeren über das Vernichtungslager im polnischen Majdanek?
Joachim Perels: Weil der Auschwitz-Prozess als Einziger komplett auf Tonbändern aufgezeichnet wurde – die wir in der Ausstellung präsentieren. Man kann bei uns in sieben Kabinen große Ausschnitte aus diesen Bändern hören – Debatten zwischen Anklägern und Verteidigern und Zeugenberichte etwa.
Die Schau besteht also hauptsächlich aus Tonbändern?
Nicht ausschließlich. Wir zeigen auch viele Bilder und Texte zur Entstehung der Prozesse und zu ihrer Wirkung. Es handelt sich um eine breit angelegte Lehrausstellung. Selbst wer sich bereits mit den Auschwitz-Prozessen befasst hat, wird dort Neues erfahren.
Was war Ihnen neu?
Es gibt da eine Tonkabine, in der man Adolf Eichmann hören kann. Aber nicht in dem Prozess 1961 in Jerusalem, sondern in einem Interview mit einem Journalisten. Darin wird deutlich, dass Eichmann die von ihm organisierten Deportationen nach wie vor bejaht. Zugleich bedauert er, dass die Nazis „bloß“ sechs Millionen Juden umbrachten und nicht zehn. Diese Aufnahmen zeigen, dass der Eichmann des Jerusalemer Prozesses nicht identisch ist mit dem wirklichen Eichmann. Der Eichmann von Jerusalem ist der Befehlsempfänger, als der er sich darstellt. Der tatsächliche Eichmann ist ein mit den Befehlen einverstandener, leidenschaftlich kämpfender Antisemit.
Warum präsentieren Sie zwei Prozesse, die 18 Jahre auseinander liegen?
Weil sich der Bergen-Belsen-Prozess von 1945 gegen leitendes Personal richtete, das zuvor in Auschwitz Verbrechen begangen hatte. Deshalb wurden dort viele auch wegen der Taten von Auschwitz verurteilt. Ich betrachte den Bergen-Belsen-Prozess als Vorläufer des Auschwitz-Prozesses.
Warum fand der Auschwitz-Prozess erst 1961 statt?
Vor allem, weil in den 50er Jahren die Rechtspflege in NS-Prozessen stillstand. Das lag daran, dass der alte Justizapparat weitestgehend wiederhergestellt war und solche Ermittlungen nicht wollte. Auch die Öffentlichkeit neigte dazu, die Straftäter des Dritten Reichs zu amnestieren. Faktisch wurde dieser Stillstand erst 1958 mit Einrichtung der Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen aufgehoben.
Kam der Bergen-Belsen-Prozess – im September 1945 – nicht zu früh, um gründlich vorbereitet zu sein?
Nein. Es gab genug historisches Material. Zudem war es ein rechtsstaatlicher Prozess, in dem mit Beweis und Gegenbeweis gearbeitet wurde. Es war kein Schauprozess wie etwa unter Stalin.
Stand bei den NS-Prozessen nicht Völkerrecht gegen nationales Recht?
Nein. Das Londoner Abkommen vom 8. 8. 1945, auf dem der Bergen-Belsen-Prozess basierte, formuliert völkerrechtliche Anklagegründe, die bereits Anfang des 20. Jahrhunderts galten: Kriegsverbrechen. In den Auschwitz-Prozessen kam der Tatbestand, der „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ hinzu: Die Tötung von Menschen wegen ihrer „Rasse“ verstieß gegen rechtsstaatliche Prinzipien und wurde für strafbar erklärt. Aber auch diesen Tatbestand hatte bereits das deutsche Strafgesetzbuch von 1871 definiert, das die Nazis formell nicht aufgehoben hatten.
Spiegelte das Resultat der NS-Prozesse die Haltung der Gesellschaft?
Letztlich ja. Es gab viele Abwehrmechanismen, die auch während des Prozesses eine Rolle spielen. Die herrschende Linie der Rechtssprechung war, dass die meisten Nazi-Täter keine Täter, sondern – juristisch formuliert – bloße Gehilfen waren. Diese Haltung kam auch im Auschwitz-Prozess zum Tragen. Es wurden zwar fünf brutale Aufseher als Überzeugungstäter verurteilt, aber die meisten Angeklagten stufte man als Gehilfen ein. Diese „Gehilfenrechtssprechung“ spiegelte durchaus, was damals die meisten Deutschen dachten.
INTERVIEW: PETRA SCHELLEN
Die Ausstellung „Zur Wiederherstellung des Rechts – Auschwitz-Prozess und Bergen-Belsen-Prozess“ ist bis 25. 2. im niedersächsischen Landtag in Hannover zu sehen
Fotohinweis:JOACHIM PERELS, 67, Mitorganisator der Ausstellung, ist emeritierter Professor für politische Wissenschaft an der Hannoverschen Leibniz-Universität.