piwik no script img

Archiv-Artikel

Es steht was auf dem Spiel

Egal, wie das Urteil gegen einen Mitarbeiter des Ärztlichen Beweissicherungsdienstes heute ausfällt – der Chef des Angeklagten muss mit Folgen rechnen. Hinter den Kulissen suchen die ersten Auftraggeber nach Alternativen

Von ede

bremen taz ■ Der des Diebstahls angeklagte Mediziner des „Ärztlichen Beweissicherungsdienstes“ hat Rückendeckung vom Chef persönlich. „Für uns sitzt der diensthabende Gerichtsmediziner auf der Anklagebank. Das könnte jeder von uns sein“, vertritt Michael Birkholz, der Leiter des Bremer Instituts für Rechtsmedizin, offensiv die Unschuldstheorie. Angeklagt wurde sein Mitarbeiter nach dem Vorfall vom Januar dennoch. Dem 55-Jährigen wird vorgeworfen, als Arzt im Dienst bei einer Leichenschau 1.000 Euro aus der Wohnung einer Toten entwendet zu haben. Ein Zufall, den er nicht bemerkt habe, sagt der Angeklagte. Heute wird ein Urteil in dem Prozess erwartet.

Für den Angeklagten geht es um die berufliche Existenz. Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens könnte aber auch für dessen Chef einiges auf dem Spiel stehen. Denn hinter den Kulissen werden zurzeit viele Fragen gestellt, die die Arbeitsweise des Instituts für Rechtsmedizin betreffen, das als eines der wenigen in Deutschland ein städtischer Eigenbetrieb ist. Dessen Einnahmen stammen – das ist pikant – zu einem beachtlichen Teil aus Aufträgen der Bremer Polizei.

Für die Polizei stand der Angeklagte jahrelang und zu jeder Tageszeit in Bereitschaft. Er entnahm Betrunkenen Blutproben, er begutachtete die Transport- und Arrestfähigkeit von Gefangenen, machte Leichenschauen und erledigte die Brechmittelvergabe an mutmaßliche Dealer – alles auf Honorarbasis, dafür mit dem Titel „Oberarzt“ versehen. Seine Leistungen brachten dem unverschuldeten Angeklagten nach eigenen Angaben rund 5.000 Euro im Monat. Mittlerweile ist er arbeitslos gemeldet. Auf Rat seines Chefs. Die Polizei hat die Zusammenarbeit mit dem Angeklagten vorerst auf Eis gelegt. „Wir haben ja jetzt keine Aufträge mehr für ihn“, sagt Chef Birkholz.

Dessen Ärztlicher Beweissicherungsdienst ist eine private Tochter des Instituts, die der umtriebige Medizinalrat und Beamte Birkholz selbst führt, der zudem immer neue Erwerbszweige in der Medizin auftut. Beobachter scherzen schon über „den Konzern“ – dessen einzelne Betriebszweige allerdings nicht durchgehend erfolgreich sind. Die Abteilung „Gerichtliche Psychiatrie“ hat sich nach dem Weggang einer Mitarbeiterin noch nicht wieder erholt – und auch die Anbindung des Bereichs „Gerichtliche Spurenkunde“ an staatliche Arbeitgeber schwächelt. Die Bremer Staatsanwaltschaft jedenfalls verzichtet weitgehend auf Kooperation, nachdem vor Jahren ein – schnell entlassener – Mitarbeiter wegen schlampiger DNA-Analysen aufgefallen war. Mittlerweile wächst offenbar auch bei der Polizei die Nachdenklichkeit – nicht nur über den internen Führungsstil und die Arbeitsbedingungen beim langjährigen Kooperationspartner in der Rechtsmedizin. Sondern eben auch über mögliche Alternativen. Der Vertrag zwischen Institut und Polizei verlängerte sich bislang gewöhnlich am Jahresende um ein weiteres Jahr. Und auch Richter haben offenbar begonnen, nach neuen Auftragnehmern für ihre Gutachten Ausschau zu halten.

Doch öffentlich will sich niemand den Mund verbrennen. In Bremen ein rechtsmedizinisches Institut zu halten, sei wichtig, glauben zudem Staatsanwälte und schauen skeptisch auf die Hamburger Konkurrenz, die im Bremer Umland und in Bremerhaven schon lange in guten Schuhen steht. ede