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Archiv-Artikel

„Wer Forscher just in time braucht, muss mehr bezahlen“

Wie die Personalkrise der Wissenschaft lösen? Gerd Köhler von der GEW fordert mehr Dauerstellen und einen Tarifvertrag für die Wissenschaft

taz: Herr Köhler, Rot-Grün hat vergangenes Jahr die Arbeitsdauer von Wissenschaftlern neu geregelt. Dabei haben manche schlecht abgeschnitten. Wie ist die Situation heute?

Gerd Köhler: Weiterhin schlecht. Das Hochschulrahmengesetz (HRG), das die Materie regelt, hat zum Beispiel die Projektforscher noch gar nicht entdeckt.

Was sind Projektforscher?

Das sind oft renommierte Wissenschaftler. Sie arbeiten in Projekten, die sie teils selbst bei der Industrie oder Wissenschaftssponsoren wie der DFG einwerben. Obwohl sie längst Daueraufgaben erfüllen, sind diese Drittmittelforscher unter dem Druck, ständig neue Anträge schreiben zu müssen – mit dem Risiko, dabei den Job zu verlieren.

Das HRG will, dass für sie nach 12 Jahren generell Schluss ist. Was kann man dagegen tun?

Wir müssen die Arbeit der Projektforscher belohnen. Das heißt, wir brauchen viel mehr unbefristete Jobmöglichkeiten, wie es sie auch sonst in Europa gibt. In Skandinavien etwa kommt auf drei unbefristete Stellen eine befristete. Bei uns ist es umgekehrt: Nur 30 Prozent der Wissenschaftler sind unbefristet beschäftigt, der Rest steht alle paar Jahre vor dem Vertragsende. In der Wissenschaft herrscht bei uns die alte Hire-and-Fire-Mentalität.

Hire and Fire? Nicht nur Hans-Olaf Henkel von der Leibniz-Gemeinschaft fragt: Warum lassen wir es Unis und Forschern nicht frei, wie lange die Laufzeit der Verträge sein soll?

Haben Sie bemerkt, dass meist ältere Herren mehr Flexibilität fordern, die für sich selbstverständlich Dauerjobs beanspruchen? Henkels Wunsch ist der Rückfall in den Manchesterkapitalismus.

Wieso Manchester? Man muss die Forscher ja nicht einzeln den Hochschulkanzlern ausliefern. Warum verstehen Sie Henkels freies Aushandeln nicht als Angebot, kollektiv einen Wissenschaftstarifvertrag zu vereinbaren?

Wir fordern seit 25 Jahren, einen eigenen Tarifvertrag für Hochschulen und Forschungsinstitute abzuschließen. Es wäre prima, wenn der Leibniz-Präsident mit uns über einen solchen Tarifvertrag verhandeln würde. Und mit ihm endlich die Kanzler und die Chefs der Institute.

Sollte dieser Tarifvertrag die Möglichkeit enthalten, Forscher befristet zu beschäftigen?

Besondere Situationen kann man gesondert regeln. Im Klartext: Wer WissenschaftlerInnen just in time haben will, der muss eben auch ein bisschen mehr bezahlen als bisher.

Wie könnte das aussehen?

Zum Beispiel so, dass jeder Forscher, der befristet arbeitet, pro halbes Jahr in einem Projekt einen Monat zusätzlich bezahlt bekommt – um nach Ablauf seines Vertrages ein neues Projekt an Land ziehen zu können. Oder indem die Arbeitgeber dieses Geld in Fonds einzahlen. Muss der Projektforscher gehen, bekommt er daraus eine Abfindung.

Bei den Habilitierten scheint die Lösung einfacher: Es bräuchte befristete Professuren – als Sprungbrettstellen.

Richtig. Der Übergang muss sanfter organisiert werden. Wir müssen die Suchphase überbrücken.

Für manche kann es trotzdem unsanft enden. Die Konkurrenz unter den Habilitierten wird dafür sorgen, dass nicht jeder eine Professur bekommt.

Wenn wir aus der Flickschusterei rauswollen, brauchen wir ein in sich schlüssiges Personalkonzept. Das heißt, wenn sich jemand habilitiert hat, dann wird man für ihn auch eine unbefristete Stelle an der Uni finden – als Professor, als Professorin oder als wissenschaftliche Angestellte oder Angestellter neuer Art.

Sie wollen für Habilitierte unterhalb der Professur unbefristete Stellen schaffen?

Warum nicht? Immerhin haben der Staat und der Forscher fünzehn Jahre in eine Ausbildung investiert. Es wäre Unsinn, das erworbene wissenschaftliche Potenzial zu verschleudern!

Sprungbrettstellen, die unbefristet sind. Klingt widersprüchlich.

Befristete Stellen mögen kurzfristig sinnvoll sein. Aber sie lösen das Strukturproblem der Wissenschaft nicht.

Hat die GEW mal durchgerechnet, was das kosten würde?

Das kann man schlecht, weil die Hochschulen nicht so offen über ihre Personalhaushalte informieren. Ich glaube aber, die Kosten wären überschaubar. Wer Qualität will, der muss eben auch Qualität bieten.

INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER