: NRW weiter zugemüllt
Müllimporte nach NRW nehmen zu. Schuld sind Überkapazitäten in Müllverbrennungsanlagen und niedrige Ablagerungskosten. Die grüne Umweltministerin Bärbel Höhn kritisiert die Praxis
VON HOLGER PAULER
Nordrhein-Westfalen ist bundesweit Spitze – im Mülltourismus. Die Müllimporte nach NRW haben sich seit 1995 verzehnfacht. Im letzten Jahr wurden 2,349 Millionen importiert – allein 1,672 Millionen Tonnen aus den Niederlanden. „Wir haben in der Vergangenheit mehrfach versucht, die Müllimporte einzudämmen, uns sind aber durch Gerichtsurteile die Hände gebunden“, sagte NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn (Grüne) der taz. Müllimporte müssten demnach solange zugelassen werden, wie es noch freie Kapazitäten gebe, die nicht mit Müll aus NRW gefüllt werden können.
Eine Tatsache, die die Betreiber von Müllverbrennungsanlagen (MVA) nicht sonderlich stört. Um ihre Überkapazitäten zu auszulasten, nehmen sie die Müllimporte gerne mit. Die landesweit 15 MVAs haben eine Gesamtkapazität von gut fünf Millionen Jahrestonnen, sind aber nur zu 80 Prozent mit NRW-Müll ausgelastet. Der Rest wird durch den Importmüll aufgefüllt. „Die Müllgebühren würden weiter steigen, wenn die Anlagen leer liefen“, sagt Bärbel Höhn. Die an eine MVA zwangs-angeschlossenen Bürger müssten dann mit noch höheren Abgaben für ihre eh schon teure Müllentsorgung rechnen. „Das Problem mit den vielen MVAs ist in den 80er Jahren geschaffen worden“, sagt Bärbel Höhn, „wir haben heute leider keine Handhabe mehr, die zu hohen Kapazitäten zu mindern.“ Die Verantwortlichkeiten lägen bei den Kommunen.
Ein weiterer Grund für die Importe sind die niedrigen Ablagerungskosten vor Ort. In NRW liegen diese Kosten bei etwa 40 Euro pro Tonne. In den Niederlanden muss allein eine Deponie-Abgabe in Höhe von 80 Euro bezahlt werden. Ablagerungskosten sind hier noch nicht eingerechnet. „Dadurch entsteht eine Art Öko-Dumping“, sagt der Geschäftsführer des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschlands (BUND) in NRW, Dirk Jansen. Um den Mülltourismus zu unterbinden fordert der BUND auch für Deutschland die Einführung einer Deponie-Abgabe. Deponiebetreiber versuchten außerdem noch vor dem Inkrafttreten der novellierten Technischen Anleitung Siedlungsmüll (TASI) „eine schnelle Mark zu machen“, so Jansen. Ab Juni 2005 darf laut TASI kein unbehandelter Müll mehr deponiert werden.
Vor dem Hintergrund der Überkapazitäten mutet auch die Erweiterung der MVA Herten seltsam an. Die Kapazität der Anlage soll durch zwei neue Öfen verdoppelt werden. Bislang können dort 260.000 Jahrestonnen Abfall verbrannt werden. Die Geschäftsführung der betreibenden Abfallgesellschaft Ruhrgebiet (AGR), einer hundertprozentigen Tochter des Kommunalverbandes Ruhrgebiet, begründet die Erweiterungspläne mit der Schließung sämtlicher Hausmülldeponien im nächsten Jahr. Dadurch würden neue Kapazitäten gebraucht. Außerdem plant die AGR, bundesweit weitere Müllverbrennungsanlagen zu bauen. Der Bau einer MVA in Halle (Sachsen-Anhalt) ist bereits beschlossen Sache. „Derartige Kapazitätserweiterungen in NRW sind absoluter Unsinn“, sagt Bärbel Höhn, „sollte das Geschäft sich nicht rentieren, werden die Kosten wieder auf Gebührenzahler umgelegt.“ Und der Müll wird weiter herangekarrt.