Bei der Chemie zeigt sich Rot-Grün giftig

Verbraucherschützer werfen der Bundesregierung vor, die Reform der EU-Chemikalienverordnung zu bremsen

BERLIN taz ■ Blei in Gummistiefeln, Weichmacher in Quietscheentchen, Arsen in Farben – vor allem in Kleidung, Spielzeug oder Bauprodukten verbergen sich Gifte, die unter anderem Krebs erzeugen. Die EU-Kommission will dagegen vorgehen, Verbraucherschützer glauben aber nicht an den Erfolg. Ausgerechnet „die deutsche Bundesregierung erweist sich als Bremser“, sagte Edda Müller vom Bundesverband der Verbraucherzentralen gestern. Sie forderte die Bundesverbraucherministerin Renate Künast (Grüne) auf, sich endlich für den Gesundheitsschutz zu engagieren.

„Derzeit betreiben wir ein chemisches Großexperiment, dessen Folgen wir kaum abschätzen können“, klagt Müller. Erst seit gut 20 Jahren müssen Chemikalien, die neu auf den Markt kommen, geprüft werden. Das Gros aber wurde früher entwickelt, deshalb haben rund 95.000 Stoffe noch nie ein Anmeldeverfahren durchlaufen.

Schon 2001 legte die EU-Kommission eine „Strategie für eine künftige Chemikalienpolitik“ vor. Danach sollen Hersteller künftig belegen, dass alle ihre Chemikalien sicher sind. Die aber reagieren nahezu allergisch, klagen über zu hohe Kosten, drohen mit Verlagerung der Produktion ins Ausland. Erhört wurden sie vor allem von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Er forderte erst kürzlich auf der Jahresversammlung des europäischen Chemieverbandes Cefic in Brüssel, die mittelständischen Chemieunternehmen dürften nicht belastet werden.

Müller beobachtet den Kanzler „mit Unbehagen“, appellierte gestern aber zunächst an Verbraucherschutzministerin Künast sowie an Umweltminister Jürgen Trittin (beide Grüne), sich aktiv für die EU-Reform einzusetzen: „Verbraucherschutz heißt mehr als nur für Produkte aus dem Ökolandbau zu werben.“ Der Mensch ist überall und jederzeit Giften ausgesetzt – häufig ohne es zu wissen, bestätigt Gabriela Fleischer von der Bundeszentrale. Sie bezieht sich auf Warentests von Ökotest, die immer wieder Gifte in Alltagsprodukten aller Marken fänden. „Keine Ausreißer, es geht um viele Produkte.“ Darunter auch solche namhafter Hersteller wie Faber Castell, Geha oder Alpina.

Im Herbst wird die EU-Kommission einen Verordnungsentwurf vorlegen. Laut einer Studie von britischen Umweltökonomen rechnet sich eine Reform: Bis 2020 könnten 260 Milliarden Euro gespart werden. Weniger Chemie heißt weniger Krankenkosten. HANNA GERSMANN