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Archiv-Artikel

BVG möchte langfristig durch Berlin gondeln

Verkehrsbetriebe fordern vom Land 15-Jahres-Vertrag und stoßen auf Widerstand. Auch die Arbeitnehmerseite gibt sich nicht so einlenkend, wie es die BVG-Spitze gern hätte. Von den 13.000 Stellen sollen 500 weniger als geplant wegfallen

Die landeseigenen Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), zuletzt stark in der Defensive wegen überhöhter Direktorengehälter und schikanöser Kontrollen, sind in die Offensive gegangen. In bislang nicht gekannter Direktheit fordern sie vom Senat eine langfristige Auftragsbindung über 15 Jahre. Dabei verweisen sie auf einen ebenso langen Vertrag, den das Land mit der S-Bahn GmbH abschloss. Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) reagierte ablehnend, nannte die Forderung „das Pferd von hinten aufzäumen“: Erst müsse die Sanierung voran.

Der Streit um einen langfristigen Verkehrsvertrag – der aktuelle läuft Ende 2007 aus – war gestern nicht die einzige Kontroverse bei den Verkehrsbetrieben. Als Vorstand und Arbeitnehmervertreter sich nach einer weitgehend ruhig verlaufenden Mitarbeiterversammlung im Weddinger Betriebshof äußerten, erinnerte das an Trainerkommentare, bei denen man sich denkt: Die haben verschiedene Spiele gesehen. Eindinglich beschrieb BVG-Chef Andreas Graf von Arnim ein gewachsenes Einvernehmen mit den Arbeitnehmervertretern, sprach von mehr Nähe zu den Mitarbeitern, von neuen Terminen für Tarifgespräche.

Betriebsrat und Gewerkschaft erlebten anderes: „Nicht ansatzweise“ sei bei der Betriebsversammlung die gedachte Konzeption für die Zukunft der BVG deutlich geworden. Die auf den ersten Blick gute Nachricht, dass 500 Stellen weniger gestrichen werden sollen als bislang geplant, fällt für Uwe Nitzgen, den Chef des Gesamtbetriebsrats, unter „Zahlenspiele“. Seit einer Betriebsversammlung im September 2003 hieß es, von derzeit 13.000 Stellen sollten noch 9.500 bleiben. Jetzt geht der Vorstand von 10.000 aus, dank Einsparungen in anderen Bereichen und höheren Einnahmen.

Auch die, die bleiben, sollen zurückstecken und größtenteils auf Weihnachts- und Urlaubsgeld verzichten. Dazu ist ein neuer Tarifvertrag nötig. Der aber kommt nicht voran. Die Schuld daran schieben sich Vorstand und Arbeitnehmerseite gegenseitig zu. Die Unternehmensspitze behauptet, ein Angebot vorgelegt zu haben. Frank Bäsler hingegen, zuständiger Geschäftsführer der Gewerkschaft Ver.di, mag kein schriftliches Angebot erkennen und gibt nichts auf Mündliches.

Abfindungen sollen BVGler dazu bringen, freiwillig zu gehen. Laut Vorstand gibt es zum Abschied zwischen 30 und 42 Monatsgehälter. Bei einem Durchschnittsverdienst von 3.000 Euro monatlich sind das 90.000 bis 126.000 Euro. Wer sich schnell für den Ausstieg entscheidet, bekommt als „Sprintprämie“ noch sechs Monatslöhne obendrauf. Am Montag soll sich damit der Aufsichtsrat unter Vorsitz von Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) beschäftigen. Der schließt nicht aus, dass sich die von den BVG selbst als großzügig eingeschätzten Abfindungen bezahlt machen könnten.

Wer wollte, bekam schon gestern Alternativen zum Bus- und Bahnlenken zur Hand. „Chance zum Erfolg“ stand auf Werbebroschüren für Heimarbeit, die eine Frau vor dem Firmentor verteilte. Mancher in BVG-blauen Uniform griff nach der Betriebsversammlung zu. STEFAN ALBERTI