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Archiv-Artikel

Asylanten sind im Klassenraum unerwünscht

In Thüringen sind Flüchtlingskinder nicht schulpflichtig – deswegen kann es vorkommen, dass sich 15-Jährigeim Kinderhort wiederfinden. Andere bekommen keine Zeugnisse. Die Schulpflicht scheitert an der CDU-Mehrheit

ERFURT/JENA taz ■ In Thüringen machen minderjährige Flüchtlinge erstaunliche Erfahrungen mit den Schulämtern. Zum Beispiel A. aus Sierra Leone, der vor drei Jahren als unbegleiteter Flüchtling allein nach Erfurt gekommen ist. Obwohl er 15 Jahre alt war, wollte man ihn nicht einschulen. „Es hieß, die Lehrer hätten keine Zeit, mir alles extra zu erklären“, sagt der Junge. Erst in Jena zeigte ein engagierter Schulamtsleiter Verständnis und ermöglichte ihm den Besuch einer Realschule. Heute ist der 18-Jährige in einer zehnten Klasse. „Wenn ich es schaffe, will ich auch noch das Abitur machen“, sagt er in fast akzentfreiem Deutsch.

Oder Allief Kgjamran aus Aserbaidschan: Der 15-Jährige lebt seit acht Monaten in Deutschland – und ist nun tagsüber stets von Kleinkindern umgeben. Er besucht den Hortbereich des Asylkindergartens in Altenburg. „Dort soll er Deutsch lernen“, sagt das Landratsamt. Schließlich habe er „die Aufnahmeprüfung für die Förderschule nicht bestanden, weil er nicht Deutsch spricht“.

Juristisch verhalten sich die Schulämter korrekt. Denn in Thüringen sind Kinder von Asylbewerbern und geduldeten Flüchtlingen nicht schulpflichtig. Das Schulgesetz räumt ihnen lediglich die Möglichkeit ein, freiwillig am Unterricht teilzunehmen, wenn die Eltern das wünschen.

„Daran wird sich auch nichts ändern“, stellt der Thüringer CDU-Schulexperte Volker Emde klar. Dabei hatte sogar die Unions-Staatsregierung im vergangenen Jahr eine Schulgesetznovelle in den Landtag eingereicht, der eine Schulpflicht für alle Kinder vorsah. Doch gegen die CDU-Fraktion konnte sie sich nicht durchsetzen. Emde: „Wir wären sonst verpflichtet, den Schulbesuch auch polizeilich durchzusetzen“ – falls Eltern ihre Kinder zu Hause behalten wollen. Außerdem könne die Schulpflicht im Extremfall einen ausländerrechtlichen Duldungsgrund nach sich ziehen und Asylverfahren in die Länge ziehen. „Das nützt niemandem“ findet Emde.

Julika Bürgin vom Thüringer Flüchtlingsrat ist erbost: „Die CDU tut so, als würden nichtdeutsche Eltern eine Schulbildung für ihre Kinder ablehnen. Ich bestreite nicht, dass es solche Eltern gibt. Aber mit ihnen müssen die Behörden den kritischen Dialog führen, statt sie noch in ihrer Position zu bestärken.“ Die übergroße Mehrheit der Asylbewerber wünsche, dass ihre Kinder zur Schule gehen, scheitere aber an bürokratischen Hürden.

So habe die Schule in Georgenthal, die im Einzugsgebiet der ehemaligen zentralen Erstaufnahmestelle für Asylbewerber liegt, die Zahl der Flüchtlingskinder begrenzt, weil die Klassen sonst zu groß würden. „Wer zu spät kam, blieb außen vor. Zuerst musste die Schule ja die Kinder aufnehmen, die schulpflichtig waren.“ In Nordhausen zahle das Sozialamt oft nicht für die Schulbücher der „freiwilligen Schüler“. Und auch Schulbusse seien für weit abgelegene Flüchtlingsheime keine Selbstverständlichkeit. 1,5 Prozent Ausländer wohnen in Thüringen – zwei Drittel davon sind Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge.

Selbst wenn ihre Kinder zur Schule gehen dürfen, bekommen sie nicht immer Schulzeugnisse. Bürgin: „Wir kennen Schüler, die lediglich eine Bescheinigung über den Schulbesuch erhalten.“ Das weiß auch die PDS-Bildungspolitikerin Michaele Sojka. Viele Lehrer seien unsicher, wie die Leistungen von Kindern zu bewerten seien, die schlecht Deutsch sprechen, aber oft gut rechnen könnten. „Jeder Lehrer ist da auf sich gestellt. Auch in Fortbildungen spielt das Thema Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache keine Rolle.“ Höhere Schulbildungen wie Abitur und Berufsschulen seien Flüchtlingen so gut wie verschlossen, wenn sie kein Zeugnis vorzeigen können. MARINA MAI