piwik no script img

Archiv-Artikel

„Die BBC hat die Geschichte aufgebauscht“

Raymond Snoddy, Medienredakteuer der Londoner „Times“, erwartet von der Untersuchung der Kelly-Affäre Kritik für alle Beteiligten. Die Rolle der BBC sei noch nicht geklärt. In vielem habe sie allerdings auch Recht gehabt

taz: Herr Snoddy, wie stark ist die BBC durch ihre Rolle im Fall Dr. Kelly beschädigt?

Raymond Snoddy: Das ist schwer zu sagen. Keiner weiß, was Lordrichter Hutton tun wird. Aber ich habe gerade mit jemandem bei der BBC gesprochen: Da ist man sehr erleichtert, dass sich die allgemeine Aufmerksamkeit zunächst wieder der Regierung zuwendet.

Wird es neue Enthüllungen geben?

Ich glaube, wir haben die ganze Geschichte über die Rolle der BBC noch nicht gehört. Und wir wissen auch nicht, ob sie einer Überprüfung standhält. Denn drei BBC-Reporter haben – ohne Wissen voneinander– jeweils Dr. Kelly als Hauptquelle für ihre Behauptungen benutzt. Journalistisch gesehen ist das natürlich schlecht: Eine einzige Quelle speist gleich drei Programme. Für die Hutton-Untersuchung ist diese Lage dagegen günstig: Es gibt drei verschiedene Mitschriften über die Gespräche mit Dr. Kelly, die jetzt ausgewertet werden können.

Viele Zeitungen, auch die „Times“, kritiseren, dass die BBC die Rolle von Dr. Kelly am Ende doch bestätigt hat.

Das sehe ich anders: Sobald die Quelle von anderen Medien benannt wurde, ändert das die Situation – erst recht, wenn die Quelle tot ist. Zumal die Bestätigung der BBC ja nach Rücksprache mit der Kellys Familie geschah. Ich stimme in diesem Punkt nicht mit der Politik meiner Zeitung überein.

Stimmt die Ansicht einiger Zeitungen, die BBC habe Gilligans Behauptung niemals senden dürfen?

Die Story war von enormem öffentlichem Interesse: Die Regierung hat angeblich die Öffentlichkeit über die Gründe für den Krieg irregeführt. Okay: Die Quelle war nicht, wie von der BBC behauptet, ein hochrangiger Geheimdienstmann. – Aber immerhin ein internationaler Experte auf dem Feld der Massenvernichtungswaffen. Die BBC hat die Geschichte mit Sicherheit zu sehr aufgebauscht. Aber vieles war ja völlig richtig dargestellt: Dass die 45-Minuten-Behauptung erst nachträglich in das Dossier eingeführt wurde, und dass Alastair Campbell, ein Spindoctor, das wichtigste Geheimdienst-Komitee geleitet hat.

Warum schießt dann Ihr Blatt, die „Times“, so gegen die BBC?

Die Times ist der Ansicht, dass die BBC-Journalisten in manchem falsch lagen und dass die BBC sich hätte entschuldigen müssen. Und dass die Governors es sich zu einfach gemacht und unkritisch ihre Journalisten unterstützt, also als Aufsichtsgremium versagt haben.

Die „Sun“ schreibt sogar von einem „Desaster waiting to happen“.

So würde ich das nicht sagen, schon gar nicht so lyrisch. Die weitergehende Frage ist doch: Ist es die Rolle eines öffentlich-rechtlichen Senders, im Dreck zu wühlen, statt neutral zu berichten, was passiert?

Was erwarten Sie von der Untersuchung der Affäre durch Richter Hutton?

Es wird Kritik für alle Seiten geben: Die BBC, das Verteidigungministerium, Downing Street. Hutton scheint eintougher Charakter zu sein. Ob er allerdings wirklich so weit geht und das Thema anschneidet, warum Großbritannien in diesen Krieg zog, bezweifle ich. Aber wer weiß schon, was passiert, wenn ein unabhängiger, hochrangiger Richter anfängt, alle Beteiligten öffentlich zu befragen – inklusive Premierminister? Von daher ist Hutton jetzt so etwas wie eine noch nicht explodierte Bombe für Tony Blair und die Regierung.

INTERVIEW: STEFFEN GRIMBERG