: „Das waren die falschen Vorschläge“
Hildegard Müller, CDU, beobachtet in ihrer Partei Zweifel, ob mit der Reform „genügend Positives erreicht“ worden sei
taz: Frau Müller, die Union hat dafür gesorgt, dass von den rot-grünen Ideen zur Hebung von „Effizienzreserven“ kaum mehr etwas übrig ist. Wollen Sie keine „Strukturreform“?
Hildegard Müller: Wir wollen eine andere Strukturreform als die SPD. Wir wollten keine weitere Qualitäts-Behörde. Ich habe selbst einmal eine Abteilung für Qualitätssicherung bei einer Bank aufgebaut. Ich weiß, dass Qualitätssicherung nur funktioniert, wenn man sie in die Köpfe kriegt. Dazu muss man zum Beispiel über Fortbildung reden. Das heißt: Strukturreform ja, aber das waren die falschen Vorschläge.
Die Union hat sich Interessen der Ärzte zu Eigen gemacht. Diese haben von der Reform nichts mehr zu befürchten.
Es wäre falsch gewesen, die Freiberuflichkeit der Ärzte abzuschaffen.
Angestellte Ärzte könnten besser arbeiten, weil sie keine Unternehmerinteressen verfolgen müssten.
Ich bin Anhängerin des Mittelständischen. Die Patienten sollen entscheiden, wer ein guter Arzt ist und wer nicht. Sie sollen Kostenbewusstsein entwickeln und dadurch auch Kostenkontrolle auf den Arzt ausüben.
Die Union muss doch jetzt überglücklich sein, dass sie alles Sozialdemokratische verhindert und alle eigenen Forderungen durchgebracht hat.
Auch bei uns wird noch bezweifelt, dass wir ausreichend Positives erreicht haben. Man muss auf den Gesetzestext warten, weil hinter den Eckpunkten noch allzu viele Details lauern: Der Wettbewerb zwischen gesetzlichen und privaten Kassen etwa muss gerecht ausgestaltet werden, sodass die Privaten nicht benachteiligt werden.
Was vermissen Sie an der Reform?
Die Reform hat gegenwärtig keine Langfrist-Perspektive. Sie erfasst die Dimension des medizinisch-technischen Fortschritts und der Altersentwicklung nicht. Deshalb ist es falsch, von einer „Jahrhundertreform“ zu reden. Diese Reform verlagert den Kostendruck aus dem System, aber sie beschäftigt sich nicht mit den Herausforderungen der Zukunft.
Der medizinische Fortschritt der letzten Jahrzehnte ist weitgehend kostenneutral verarbeitet worden.
Die Verlängerung des Lebens wird immer teurer. Da brauchen wir uns nichts vorzumachen: Dadurch entsteht Kostendruck. Die Fülle der Medikamente wird zunehmen.
Die Rürup-Kommission wird im August durchgerechnet haben, was eine Umstellung der gesetzlichen Krankenkassen entweder auf eine „Bürgerversicherung“ – in der auch Selbstständige und Beamte versichert sein sollen – oder auf „Kopfpauschalen“ – gleiche Beiträge für alle – kosten wird. Was ziehen Sie vor?
Mit Kopfpauschalen würden wir die Privatkassen erhalten und soziale Ungerechtigkeiten übers Steuersystem ausgleichen. Ich persönlich bin dafür, auch wenn unsere Herzog-Kommission sich dagegen entschieden hat. Über die Linie der Union wird letztlich der Parteitag im Dezember entscheiden
INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN