Geniale Reformer entsetzt über dumme Nörgler

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und CSU-Experte Horst Seehofer verteidigen ihre Gesundheitsreform gegen zahlreiche Kritiker: „Wir werden dieses Werk nicht kleinreden lassen“

BERLIN taz ■ So schnell wird aus einer Fünfparteien-Gesundheitskoalition eine Fünfparteien-Verteidigungskoalition. Vehement wiesen die Verhandlungsführenden der Reformrunde, Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und Exgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU), gestern die Kritik an ihrem Ergebnis von sich – ebenso wie Vertreter von Grünen, CDU und FDP.

Diese Gesundheitsreform, wie sie in der Nacht zu Montag beschlossen worden war, „ist das größte Reformwerk der jüngeren deutschen Sozialgeschichte“, sagte Seehofer. „Wir werden uns dieses Werk nicht kleinreden oder -schreiben lassen.“ Nahezu wortgleich erklärten Schmidt und Seehofer, dass vor allem die Kritiker in den Gewerkschaften und den Krankenkassen doch bitte den Mund halten mögen: „Hätten sie in der Vergangenheit nur die Hälfte von den Effizienzmaßnahmen angefasst, die bereits möglich waren, so hätten wir heute ein gewaltiges Problem weniger in Deutschland“, sagte Seehofer. Das Reformpaket sei „das Mindeste, was geschehen muss“. Gleichwohl sei das Gesundheitssystem „an die Grenze der Reformfähigkeit gestoßen“.

Mit dem bis 2007 kalkulierten Über-23-Milliarden-Euro-Sparpaket sollen die Kassenbeiträge von derzeit 14,4 auf 13 Prozent gesenkt und die gesetzlichen Krankenkassen entschuldet werden. Laut Verbraucherzentrale tragen die Verbraucher bis 2007 einschließlich Tabaksteuer 18,5 Milliarden Euro – Ärzte, Apotheker und Pharmaindustrie nur 3 Milliarden.

Vor allem an einer solchen Kalkulation der Lastenverteilung macht sich die Empörung fest, die seit Montagabend auf die „Eckpunkte der Konsensverhandlungen“ niederprasselt. DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer erklärte gestern, die „Eckpunkte gehen einseitig zu Lasten der Arbeitnehmer und werden nicht nachhaltig für stabile Beitragssätze sorgen“. Der Gesundheitssektor sei auch künftig „Spielfeld der Lobbyisten“. Ebenso äußerte sich der Sprecher der größten gesetzlichen Kasse AOK: Der Kompromiss stelle „keine nachhaltige Finanzierungssicherung für die Kassen“ dar. „Monopole“ – gemeint ist die ungebrochene Macht der Ärzteverbände – blieben „ungeschoren“.

Kernpunkte des Kompromisses sind: eine Verdopplung der von Kranken erwarteten Zuzahlungen – sie müssen mit einer 10-Euro-Gebühr für sämtliche medizinische Leistungen rechnen; die Finanzierung familienpolitischer Leistungen (Mutterschutz etc.) durch erhöhte Tabaksteuer; komplette Streichung vieler Leistungen: Brillen, Sterbegeld, Entbindungsgeld usw.; Zahnersatz wird privatisiert und muss extra versichert werden.

ULRIKE WINKELMANN

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