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Archiv-Artikel

David Bowie, unbekannt verzogen

Hier haben sie geleibt und gelebt. Seit April bietet Sta*-Tours Rundfahrten auf den Spuren toter und verzogener Stars. Nur die Stardefinition lässt zu wünschen übrig: Auch die Anwesen diverser Nazigrößen sind zu besichtigen

Hauptstraße 155 in Schöneberg, eine Ecke, wo heute kaum jemand freiwillig hinziehen würde. Genau hier haben sie gewohnt, in einer anderen Zeit und einer anderen Welt. In der 2. Etage des Hauses, in dem heute das trostlose „Lotus Tattoo“-Studio residiert. David Bowie und Iggy Pop! Genau hier!

Jetzt müsste man eigentlich weiche Knie bekommen, wenige Schritte von den Fenstern entfernt, durch die David und Iggy vor 25 Jahren jeden Morgen blickten. Doch ehrlich gesagt: Nicht die klitzekleinste Gänsehaut kommt auf. Das Reihenhaus verströmt weder das Restaroma von Popstarglamour noch das kleinste bisschen Mauerstadt-Verwesungsgeruch. Nicht mal eine kleine Tafel weist darauf hin, wer hier einmal Popgeschichte geschrieben hat. Und so wären alle Spuren vielleicht für immer verwischt gewesen, wenn es „Sta*-Tours“ nicht gäbe.

Seit April dieses Jahres bietet Birgit Wetzig-Zalkind Sta*-Tours an, die etwas andere Stadtrundfahrt. Bei ihren Touren auf den Spuren großer Stars in Berlin, die man für einzelne Stadtteile, aber auch nach Themenkomplexen – wie etwa „Filmstars“ oder „das jüdische Berlin“ buchen kann – geht es ausschließlich um Promis. Und natürlich um Tratsch und Klatsch, den Wetzig-Zalkind mit Hingabe sammelt und weitergibt.

„Eben sind wir am Haus von Blixa Bargeld vorbeigefahren.“ Blick zurück. Wo? Einfach so vorbeigefahren? Ist ja immerhin Blixa Bargeld. Doch aussteigen und auf Anweisung unseres Tour-Guides an der Tür von Blixas Altbau klingeln ist nicht drin. Denn es gibt da ein Problem: Während man bei den berühmten Moviestar-Touren in Los Angeles die palastartigen Villen lebender Filmgötter sehen darf, ist „Stars von heute“-Sigthseeing in Deutschland verboten. Mal kurz vorbeischauen bei Jeffrey Eugenides, dem Autor des neuen Bestsellers „Middlesex“? Nichts zu machen. Wo wohnt Daniel Küblböck denn nun? Wetzig-Zalkind weiß es, einer ihrer Fahrer hat den Umzug für den Superstar besorgt, doch würde sie uns nun hinfahren, sie würde sich strafbar machen. Sta*-Tours muss sich auf die Vergangenheit beschränken.

Immerhin kommen wir nun bei einem berühmten Schriftsteller vorbei. Gleich neben dem Haus, in dem Theodor Heuss gelebt hat, befindet sich die Wohnung, in der Joseph Goebbels seinen skurrilen Roman „Michael“ geschrieben hat. Aber wen interessiert es wirklich, wo genau Joseph Goebbels seinen Unfug getrieben hat? Wenn Stars diejenigen sind, deren Namen eine Wirkung haben wie Donnerklang, dann gehört einer wie Goebbels natürlich schon zum Programm. Fragt sich nur, warum die Tour sich nicht „Star- und Nazigrößen-Tours“ nennt.

Es ist erstaunlich, wer in dieser Stadt außer den Nazis sonst so seine Spuren hinterlassen hat. Kurt Tucholsky, Klaus Kinski, Fritz Lang, viele zählen zu den in finsteren Zeiten Verfolgten und Verfemten. Viele ihrer Adressen hat Frau Wetzig-Zalkind ganz einfach in alten Telefonbüchern nachgeschlagen. Lang ist die Liste der Stars, die dieses Land nicht wollte. An diesem Starexport zur Nazizeit hat auch Sta*-Tours zu knabbern. Man bekommt zwar vorgeführt, wo die kleine Marlene aufgewachsen ist, aber eigentlich wüsste man noch viel lieber, wo die Dietrich zur Diva wurde.

Wenigstens im Grunewald geben die Häuser das wieder, was die Namen versprechen. Vorbei am Murnau- und dem Hildegard-Knef-Haus erstreckt sich bald die schmucke Villa von S. Fischer, bei dessen legendären Hausabenden, so erzählt Frau Wetzig-Zalkind, hin und wieder Albert Einstein seine Violine ausgepackt hat. Hier vermitteln wenigstens die prunkvollen Gebäude das Gefühl, vor so etwas wie einer Hall of Fame zu stehen.

Doch andererseits beweist das Moos in den Villengemäuern auch: Das mit dem Einstein und seiner Fidel, das ist lange her.

Am Ende der Tour fühlt man sich, als hätte man zu viel Schokolade gegessen und immer noch Hunger. Schließlich hat die Lust auf Promis auch was mit der Lust zum Angeben zu tun. „Ich weiß, wo Paul Hindemith gewohnt hat“, kommt eben einfach nicht so gut wie „ich stand mal im Supermarkt hinter Meret Becker, die eine Jogginghose voller Eierflecken trug“.

ANDREAS HARTMANN

www.sta-tours.com, (07 00) 78 28 68 77, eine Tour ca. 2 Stunden – 49 Euro