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Archiv-Artikel

Lehm wird wieder belebt

Das Bauen mit Lehm erfährt eine leise Wiedergeburt. Umweltschützer und auch Baubranche feiern ein altes, neu entdecktes Baumaterial. Doch die Verbraucherschützer geben sich noch zurückhaltend

VON Salvio Incorvaia

Ob für die Reparatur denkmalgeschützter Lehmgeflechte, als Klimapuffer beim Vermauern oder fürs Auftragen eines farbigen Edelputzes – Lehm wird als Baustoff neu entdeckt. Der historische Rohstoff und traditionelle Handwerkskunst feiern eine Renaissance.

„Lehm gewinnt gerade im Zuge des ökologischen Hausbauens wieder an Bedeutung“, sagt Anke Richter. Für die Geschäftsführerin des „Dachverbands Lehm“ ist der unerschöpfliche Rohstoff in Produktion, Verarbeitung und Anwendung praktisch einsetzbar. Weil Lehm keine Schadstoffe bilde, sei er überaus umweltschonend.

Der bisherige Geheimtipp ist auch in der Baubranche seit einigen Jahren beliebter geworden. Immer mehr Häuslebauer greifen jetzt auf Lehm zurück: in der Denkmalpflege, bei der Bausanierung und im Neubaubereich. Doch anfangs fehlt die Erfahrung für das fast vergessene Handwerk und seinem Baustoff.

Wegen der gestiegenen Nachfrage haben Architekten, Handwerker und Händler bereits 1992 den „Dachverband Lehm“ gegründet. Erfahrung, technisches Knowhow sowie Informationen und Ideen rund um den braunen Baustoff sollte so ein neues Forum geboten werden – mit einigem Erfolg.

Mittlerweile gibt es geltende „Lehmbau-Regeln“, die vom Bundesinstitut für Bautechnik abgenommen wurden. Geschaffen wurde ebenso ein Weiterbildungslehrgang als „Fachkraft für Lehmbau“, der mittlerweile in mehr als die Hälfte aller Bundesländer anerkannt ist und zusammen mit den Handwerkskammern eingeführt wurde. Denn auch die allgemeine Baubranche benötigt immer mehr spezialisierte Handwerker und Firmen. So sind inzwischen immer mehr Architekturbüros und Handwerksbetriebe von den Eigenschaften des wiederentdeckten Materials überzeugt:

„Lehm lässt sich auch erdfeucht zu massiven Wandkonstruktionen stampfen. Zusätze wie Stroh- oder Holzhäcksel, Hanffasern oder Hobelspäne können für unterschiedliche Festigkeiten und Elastizität sorgen“, sagt Christoph Kampschulte vom Bochumer Planungs- und Handwerksbüro „Holz- und Lehmbau“. Mit seiner Bindekraft und seiner plastischen Formbarkeit lasse sich der Baustoff wie kein anderes Material modellieren und auch in großen Schichtstärken auftragen. Kampschulte schwärmt: „Bereits das Rohmaterial lässt sich vielfältig aufbereiten: als Schüttung in Zwischenböden, als Mörtel oder Putzmischung.“ Lehm könne ebenso zu festen Bausteinen oder Platten geformt werden.

Das gesteigerte Interesse von Bauherrn und Firmen liegt auch in einem veränderten Verbraucherverhalten: In den Überlegungen der Bauherrn über geeignete Baustoffe für ein Projekt werden ökologische, praktikable und finanzielle Kriterien kombiniert.

Auch die Verbraucherzentrale NRW beobachtet den Trend zum Lehm, rät aber bei einer Verwendung auf die jeweiligen baulichen Gegebenheiten zu achten: „Lehm kann für den Innenbereich auch eine Alternative bei der Isolierung von Neubauten sein. Der Baustoff verbessert durch seine offenporige Struktur das Raumklima. Durch die Aufnahme und Abgabe von Wasserdampf kann er die Raumluftfeuchtigkeit auf natürliche Weise regulieren“, sagt Andrea Mayer-Figge von der Verbraucherzentrale NRW. Die Verbraucherschützer schätzen die Vorzüge des Baustoffes, geben aber auch zu Bedenken: „Da die Baubranche erst seit einigen Jahren wieder vermehrt mit Lehm arbeitet, sollte sie sich dem Baustoff behutsam nähern und intensiv praktische Erfahrungen austauschen.“

Dagegen ist der „Dachverband Lehm“ von einer Renaissance des historischen Baustoffs überzeugt, weil Lehm alle ökologischen und baubiologischen Anforderungen erfülle, örtlich verfügbar, resourcenschonend und beliebig verwertbar sei. Dachverbands-Sprecherin Anke Richter gibt sich überzeugt: „Wenn Umweltverantwortung mehr Stellenwert gewinnt, werden ressourcensparende und umweltschonende Bauweisen wichtiger“ Jetzt seien Baustoffe gefragt, die bei der Herstellung wenig Energie verbrauchen, gesund, wieder verwertbar und Gestaltungsmöglichkeiten haben – und all das biete Lehm.