: Hollywood dreht durch
Kalifornische Kongressabgeordnete schlagen ein neues Gesetz gegen Online-Tauschbörsen vor: Wer auch nur eine Datei auf seiner Festplatte anbietet, muss mit bis zu fünf Jahren Knast rechnen
von DIETMAR KAMMERER
Howard L. Berman ist ein Mann mit Sinn fürs Dramatische. Den muss er schon von Amts wegen beweisen, schließlich vertritt der Demokrat im US-amerikanischen Kongress den 28.Wahlbezirk Kaliforniens, der im Süden an den berühmten „Mulholland Drive“ grenzt und der dem Kinopublikum in aller Welt durch die riesigen „Hollywood“-Buchstaben bekannt ist. Von der Unterhaltungsindustrie kommt dann regelmäßig auch der Löwenanteil an Spendengeldern, mit denen Berman seine Wahlkampfkasse füllt.
Das Geld ist gut angelegt. Berman bedankt sich bei den Kreativen, indem er bei der Eingabe von Gesetzesvorhaben selbst außerordentliche Kreativität beweist. Vergangenes Jahr reichte er unter dem Titel „P2P Piracy Prevention Act“ einen Gesetzentwurf ein, der es den Besitzern von urheberrechtsgeschütztem Material erlauben würde, zu „technologischen Selbsthilfemaßnahmen“ zu greifen, um die Verbreitung ihrer Werke über Peer-to-peer-Tauschnetze wie „Gnutella“ oder „KaZaA“ zu unterbinden. Straffreiheit also für Rechteinhaber, die mittels Täuschungsmanövern, falschen Dateien und Denial-of-Service-Attacken den Tausch von Dateien „unmöglich machen, stören, blockieren, umlenken“. Was dem Normalbürger streng untersagt ist, den Lobbyorganisationen der Unterhaltungsindustrie, etwa der Motion Picture Association of America (MPAA) oder der Recording Industry of America (RIAA), wäre es gestattet worden.
Dass diese Fanfaren für den Großangriff auf Peer-to-peer-Netze dann doch nicht geblasen worden sind, ist nur ein paar Richtern zu verdanken. Ein Bundesbezirksgericht in Los Angeles wies im April diesen Jahres die Klagen gegen Peer-to-peer-Dienste wie Morpheus und Grokster zurück. Aus dem „Prevention Act“ wurde daher nichts, dafür wirft sich Berman nun mit einem neuen Vorschlag in die Bresche.
Übliche Verdächtige
Jetzt kommen die Nutzer selbst ins Fadenkreuz. Davor war Hollywood bislang zurückgeschreckt, schließlich ist es das Ziel der Unterhaltungsindustrie, zu unterhalten, und nicht, Millionen potenzieller Kunden vors Gericht zu zerren. Aber dafür gibt es ja Kongressabgeordnete. Berman hält sich an die aristotelische Dramatik und plant nunmehr, mit Furcht und Schrecken die Läuterung der Sünder herbeizuführen. Gemeinsam mit dem Demokraten John Conyser hat er einen neuen Gesetzesvorschlag eingereicht. Er heißt zwar „Author, Consumer, and Computer Owner Protection and Security Act of 2003“ (ACCOPS), doch geschützt und gesichert werden soll die Urheberrechtsindustrie. Ein für allemal festgestellt werden soll, dass schon der so genannte Upload eines einzigen urheberrechtlich geschützten Werkes ein „Verbrechen“ (Felony) darstellt. Im Fall einer Verurteilung drohen Haftstrafen von bis zu fünf Jahren und Geldstrafen von bis zu 250.000 Dollar – pro angebotenem File.
Vordergründig stützt sich Berman freilich nicht unmittelbar auf das Urheberrecht, sondern auf den Schutz der Privatsphäre: „ACCOPS gewährt Urhebern, Konsumenten und Computerbesitzern den dringend notwendigen Schutz vor vielerlei Online-Bedrohungen.“ Der durchschnittliche Computer-Benutzer wisse nämlich nicht, dass die Tauschsoftware einen Teil seiner Festplatte dem Zugriff anderer überlasse. Diese Gefährdung der eigenen Privatsphäre könne alle möglichen Folgen nach sich ziehen, „vom Diebstahl der Identität, der Verbreitung von Kinderpornografie und dem Verkauf unlizensierter Drogen bis hin zur Copyright-Piraterie“.
Relativ unverdächtig sieht der Entwurf daher vor, dass Anbieter von Tauschdiensten vom Anwender ausdrücklich die Genehmigung einholen müssen, Dateien auf dessen Rechner zu speichern sowie den Inhalt der Festplatte zu durchsuchen. Der Sinn dieser Maßnahme: Nach der Einwilligung kann sich niemand mehr hinausreden, er oder sie habe ja nicht gewusst, welche Dateien genau er in die Tauschbörse einbringe.
Der angebliche Schutz der Privatsphäre spielt in den weiteren Änderungsvorschlägen des ACCOPS keine Rolle mehr: Das US-Justizministerium soll mehr Geld zur Untersuchung von Urheberrechtsvergehen bekommen, die internationale Zusammenarbeit verbessert werden. Auch falsche Angaben bei der Registrierung einer Domain sollen mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden können.
Kollateralschäden
Fred von Lohmann, Anwalt der „Electronic Frontier Foundation“ (EFF, www.eff.org), wirft dem Gesetzesantrag vor, „Güter wie Privatsphäre, Innovation und unsere persönliche Freiheit als Kollateralschäden im Krieg gegen Filesharing achtlos fortzuwerfen“. Es gebe „mehr Menschen in den USA“, so von Lohmann weiter, „die P2P-Börsen nutzen, als Präsident Bush Wähler hatte“. Nämlich 60 Millionen, schätzt die EFF, die eine Kampagne gegen die Kriminalisierung der Tauschbörsen gestartet hat. Im führenden Musikmagazin Rolling Stone schaltete sie in dieser Woche eine Anzeige: „Let the Music Play“. Über dem Text „Sind Sie es auch satt, wie ein Krimineller behandelt zu werden, weil Sie online Musik mit anderen teilen?“, sind Musikliebhaber im Stil der „üblichen Verdächtigen“ abgebildet.
Auch ohne Bermans Bill sind Peer-to-peer-Nutzer in Deutschland nicht mehr sicher vor dem Staatsanwalt. Wer ohne Erlaubnis der Rechteinhaber urheberrechtsgeschütztes Material über das Internet „öffentlich zugänglich“ macht, macht sich nach dem neuen Urheberrecht strafbar. Allerdings unterscheidet das Gesetz die Zwecke: Gewerblichen Anbietern, die damit einen Handel treiben, droht (neben den zivilrechtlichen Schadenersatzforderungen) das Strafrecht mit einer Geldstrafe und bis zu drei Jahren Haft. Wer die Files jedoch „nur so“ in den Tauschverkehr einbringt, hat nch Auskunft des Sprechers des Justizministeriums keine Strafverfolgung zu befürchten. Wie hoch die Schadenersatzforderungen, die in jedem Fall auf den Anbieter zukommen, im Höchstfall sein können, wagt das Ministerium nicht vorauszusagen. Das sei „Sache der Gerichte“.
Da die Grenzen zwischen privatem und gewerblichem Anbieten im Internet sehr fließend sind, wird wohl auch diese Unterscheidung den Richtern überlassen. Musterprozesse in allen Instanzen stehen bevor, zumal auch noch ungeklärt ist, wie ein Nutzer nach der Kompromissformel zwischen Bundestag und Bundesrat „offensichtlich“ illegale Quellen erkennen soll.
Die Industrie drängt in jedem Fall auf allgemeine Strafverfolgung. Ein deutscher oder selbst europäischer Sonderweg wird für die globalen Medienkonzerne kaum annehmbar sein. In den USA hat der Dachverband der Schallplattenproduzenten seine Drohung bereits wahr gemacht und eine Klagewelle gegen Anbieter von Musikstücken gestartet. In den ersten Tagen sind 871 Vorladungen erwirkt worden, die sich gegen private Anwender richten, täglich kommen etwa 75 neue hinzu. Betroffen sind keineswegs nur die Tauschfanatiker. Einge der Beklagten hatten gerade mal fünf Stücke angeboten. Für jedes davon drohen im Fall einer Verurteilung zwischen 750 und 150.000 Dollar Schadenersatz. Ob der Abgeordnete Berman seine Wahlchancen für den nächsten Kongress mit seinem Gesetz wirklich erhöht hat, ist keineswegs sicher. Proteste von Peer-to-peer-Usern werden gerade in Kalifornien immer lauter. Selbst Michael Jackson hat plötzlich kein Verständnis mehr für seine eigene Branche: Er sei „sprachlos“, sagte er dem Nachrichtendienst www.vunet.com. Zwar halte auch er das Herunterladen von Musikstücken aus Tauschbörsen für „illegal“, die Antwort können aber doch wohl nicht sein, die „Leute in den Knast zu stecken“.