: Einbahnstraße mit Zukunft
Die bislang umfangreichste Studie zur Internet-Nutzung der Deutschen belegt: Die Zahl der Verweigerer sinkt, immer mehr Alte erobern das Netz, Ost und West nähern sich an – immerhin
VON NIKLAUS HABLÜTZEL
Die deutschen Firmen der Informationsbranche haben ein solides, gemeinsames Eigeninteresse daran, möglichst genau zu wissen, was sie den Leuten morgen verkaufen können. Ihre in der „Initiative D21“ organisierte Lobby bezahlt deshalb jedes Jahr das Emnid-Institut dafür, dass es 30.000 in Deutschland lebende Menschen befragt, wie, warum und wie oft sie das Internet nutzen. Die Ergebnisse sind seriös, und die statistischen Rückschlüsse, die sich daraus ziehen lassen, sind unmittelbar relevant für die wirtschaftlichen Perspektiven des größten Staates der Europäischen Union – denn sie sagen etwas darüber aus, ob es der Volkswirtschaft gelingt, die Schlüsseltechnik, ohne die keine Globalisierung möglich ist, tatsächlich zu nutzen.
Dieser Prozess ist nicht umkehrbar, und er macht die Annahme plausibel, dass in prosperierenden Ländern der Anteil der Bevölkerung, die das Internet nutzt, am Ende bei etwa 95 Prozent liegen wird. Nichts wird mehr gehen ohne das Internet, so wie schon lange nichts mehr geht ohne das Telefon. Die Rate der Telefonanschlüsse liegt in Deutschland weit über 90 Prozent, das Internet wird auf Dauer nicht weit hinter dieser Sättigungsgrenze zurückbleiben dürfen, wenn der Wohlstand erhalten bleiben soll.
Anfang dieser Woche wurde die Stichprobe der Initiative D21 für die letzten 12 Monate veröffentlicht. Danach liegt Deutschland ziemlich weit zurück. 33,9 Millionen Deutsche sind heute mehr oder weniger regelmäßig online, das entspricht einem Anteil von fast 53 Prozent der Bevölkerung über 14 Jahren. Mehr als europäisches Mittelmaß ist das nicht, andere Länder sind schon weiter. Ein Vorstandsmitglied von Siemens musste deswegen bei der öffentlichen Vorstellung der Studie unweigerlich an die deutsche Fußballmannschaft denken. Es ist zwar nicht ganz schlecht, aber auch nicht schön anzuschauen, weil es eben nicht wirklich gut ist.
41 Prozent der Deutschen sind immer noch offline, sie spielen einfach nicht mit, sind nicht in der Gegenwart angekommen. Besonders beunruhigend ist, dass immer weniger von ihnen diesen Zustand ändern wollen: Der Anteil der Offliner, die in der nächsten Zeit planen, sich einen Netzzugang zuzulegen, ist gegenüber der letzten Untersuchung zurückgegangen. Der Siemens-Mann ist dennoch „optimistisch“, sagt er, er hofft sogar, schon bald in der „Champions League“ zu spielen. Das ist tapfer, denn die Zahlen, die er vorlegt, rechtfertigen diese Hoffnung nicht. Natürlich nimmt auch in Deutschland die Nutzung des Internet zu, unter dem Strich jedoch zeigt sich, dass der für Spitzenplätze im Sport nötige Ehrgeiz nicht ausgeprägt ist. Das Internet wächst in Deutschland eher lustlos. Zwar verzeichnen auch Frauen, Arme, Ältere und schlecht ausgebildete Jüngere ihre Zuwachsraten, aber keine dieser Gruppen erreicht den Durchschnitt. Dabei könnte gerade für sie das Internet ein persönlicher Vorteil sein: Sie haben mehr Zeit, die sie zu Hause nutzen könnten. Was den Medienkonzernen Sorgen macht, ist ihre Chance: Das Internet ist keine Einbahnstraße, sie können ihresgleichen treffen, ihre Interessen artikulieren und soziale Defizite kompensieren.
Deutschsprachige Angebote im Web, die auf solche Bedürfnisse eingehen, gibt es, aber es könnten mehr sein. Die Studie merkt an, dass sich der Markt dafür noch weiter entwickeln müsse. Noch aber herrscht Katzenjammer nach der New Economy. Kaum jemand traut sich, in dieses Segment zu investieren. Befriedigend am Internet in Deutschland ist nur eines: Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen Ost und West.