piwik no script img

Archiv-Artikel

„Ohne jede innere Erschütterung“

Ärztliches Gutachten: Messerstecherin leidet an schwerer Schizophrenie. Zweifel an ambulantem Betreuungssystem

Von jox

Bremen taz ■ Susanne K., die im Juli 2003 in der Neustadt eine 25-Jährige mit 39 Messerstichen getötet hat, leidet seit 20 Jahren an einer schizophrenen Erkrankung und hat die Tat deshalb im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen. Zu diesem Schluss kam gestern die Gutachterin Nahlah Saimeh, die bis vor kurzem die forensische Psychiatrie am Zentralklinikum Bremen-Ost geleitet hat. Sie diagnostizierte bei K. „schwere psychotische, wahnhafte Erlebnisstrukturen“. Aufgrund der krankhaften seelischen Störung und weil eine „erhebliche Gefährlichkeit“ weiter fortbestünde, sei die Unterbringung der Frau in der Psychiatrie „absolut unverzichtbar“.

Die Ärztin schilderte Susanne K. als „einsame, beziehungslose Frau“ mit einer „inneren Verzweiflung“. K. sei ihr „mimisch maskenhaft“, mit einer „oberflächlichen Schicht der sozialen Freundlichkeit“, aber auch mit einer „eigentümlichen Form von innerer Kühle“ begegnet, wie sie typisch für schizophrene Patienten sei. Die ihr zur Last gelegten Taten räume Frau K. ein – „aber ohne jede innere Erschütterung“, berichtete Saimeh, die am Ende ihres Gutachtens deutliche „Systemkritik“ übte. „Ist es überhaupt sinnvoll, diese Leute ambulant zu betreuen?“, fragte Saimeh. Solange es keine „vernünftigen Rechtsinstrumente“ gebe, seien Betreuer nicht selten überfordert. Zur „Gefahrenabwehr“ aber auch als „Gesundheitsfürsorge für den Patienten“ seien Langzeitaufenthalte in der Psychiatrie dringend zu empfehlen. Eine „Freiwilligkeit“ – etwa bei der Einnahme von Medikamenten – könne bei „solchen Patienten krankheitsbedingt nicht mehr verlangt werden“. Kurzzeitaufenthalte in der Psychiatrie aber wirkten so, „als ob Sie kurz einen Feuerlöscher auf einen Brand halten“.

„Die Tat wäre nicht passiert, wenn sichergestellt worden wäre, dass Frau K. weiter ihre Medikamente nimmt“, sagte Rechtsanwalt Thomas Becker, Pflichtverteidiger von Susanne K. Mit Blick auf seine Mandantin sagte Becker: „Frau K. ist kein Monster. Frau K. ist eine kranke Frau, die behandelt werden muss.“ jox

Das Urteil wird heute um 10 Uhr gesprochen: Landgericht, Raum 218