: Macho-Chef für Scotland Yard
Eigentlich wollte er Schuhverkäufer werden, aber als sein Bruder in den Polizeidienst eintrat, machte er es ihm 1975 nach. Gestern ernannten Innenministerin Jacqui Smith und Londons Bürgermeister Boris Johnson den 55-jährigen Metzgersohn Paul Stephenson aus dem nordenglischen Lancashire zum Chef von Scotland Yard. Damit ist er Großbritanniens höchstrangiger Polizist und unter anderem für die Anti-Terrorismus-Strategie der Regierung verantwortlich. Sein Vertrag ist auf fünf Jahre begrenzt, er verdient eine Viertelmillion Pfund im Jahr. „Ich bin heute ein stolzer Polizist“, sagte er. „Es ist eine Ehre, dass ich für die Sicherheit von Millionen Londonern und Millionen Touristen sorgen darf.“
An der Basis ist man weniger begeistert. Brian Paddick, Expolizist und Bürgermeisterkandidat der Liberalen Demokraten, sagte: „Ich denke, dass er sich mehr als sein Vorgänger Ian Blair mit der vorherrschenden Machokultur bei der Polizei anfreunden wird. Deshalb wird er bei den Beamten beliebter sein, wenn auch aus den falschen Gründen.“ Davon ist bisher nur wenig zu spüren. In Blogs reagierte das Fußvolk – Stephenson unterstehen 31.000 Polizisten und 10.000 Angestellte – skeptisch auf seine Ernennung. Man wirft ihm vor, nichts weiter als eine Labour-Marionette zu sein, der die Arbeit von Ian Blair kontinuierlich fortsetzen wird.
Stephenson hatte seinen Job kommissarisch bereits Anfang Dezember übernommen, nachdem Ian Blair wegen Rassismusvorwürfen, Vetternwirtschaft und nicht zuletzt der Erschießung des Brasilianers Jean Charles de Menezes im Zuge der Terroristenfahndung zurücktreten musste. „Rusty“, wie Stephenson wegen seiner permanenten Sonnenstudio-Rostfarbe genannt wird, übernimmt eine zutiefst demoralisierte Polizei.
Stephensons Aufstieg hatte in Nordirland begonnen, wo er in der heißen Phase des politischen Konflikts stationiert war, bevor er stellvertretender Polizeichef in Liverpool, Polizeichef in Lancashire und schließlich stellvertretender Chef von Scotland Yard wurde.
Fast hätte er seine Bewerbung zurückgezogen. Im Dezember hatte er die Verhaftung des Tory-Abgeordneten Damian Green abgesegnet, der vertrauliche Informationen aus dem Innenministerium an die Presse lanciert haben soll, um die Regierung zu blamieren. An der Aktion war eine Antiterroreinheit der Polizei beteiligt, was nicht nur bei den Tories Empörung auslöste, sondern auch bei vielen Labour-Abgeordneten. Die Sache ist für Stephenson noch nicht ausgestanden. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss wird sich demnächst mit der Frage beschäftigen, ob die Sache überhaupt legal war. RALF SOTSCHECK