zwischen den rillen : Zielgruppenabweichler: Prince und Black Eyed Peas
Das Elend der Perfektion
Der Ausstieg, der den Warner-Brother-Sklaven formerly known as Prince wieder zum Künstler machen sollte, liegt sieben Jahre zurück. Seither gab es eine irrlichternde Veröffentlichungspolitik, bei der Prince Vierfach-CDs mit „legendärem“ unveröffentlichtem Material via Internet herausbrachte und dann wieder bei einem Major ein Comeback mit ganz brauchbarem Monsterpartyfunk versuchte. Das passte zum Größenwahn – so viele Songs wie Prince schreibt sonst nur Dieter Bohlen, aber der schwimmt beim Komponieren ja auch in Müllermilch.
Doch irgendwie ist der Faden gerissen. Spätestens mit seiner Konversion zu den Zeugen Jehovas und dem jazzrockvernebelten Follow-up-Album „The Rainbow Children“ hat sich Prince im Spiel mit Identitäten, Stilisierungen und Übertreibungen verheddert. Plötzlich wurde er furchtbar ernst: Als Werkretrospektive erschien letztes Jahr eine Live-Doppel-CD, schwitzig eingejammte Extratracks in authentischer Clubatmosphäre inklusive. Im Schmuckschuber, für Die-Hard-Fans. Denn obwohl Prince nach seinem Abgang aus dem Big Business an die fünf Stunden neues, sozusagen von den Zwängen der Industrie befreites Material produziert hat, hört niemand mehr wirklich hin. Das zumindest hat er mit Michael Jackson, George Michael, Mariah Carey und demnächst wohl auch mit Madonna gemeinsam: Der Markt bestimmt den Stellenwert, nicht die Debatte um die Poptauglichkeit künstlerischer Lebensentwürfe und Produktionsverhältnisse.
Stattdessen wächst mit jedem von der Zielgruppe abweichenden Hörer ein zu dieser Abweichung passender Musiker. Prince kam als Reaktion auf zu viel Phillysoulschmalz nach oben. Heute ist er selbst ein Stück Vergangenheit, die sich ein stets auf Kumpanei mit der Jugend schielendes Unterhaltungsgewerbe nicht leisten kann, mag und vor allem muss – wozu anders, wenn es auch mit Küblböck geht.
Daran wird sich für Prince mit „N.E.W.S.“ wenig ändern. Wieder geht es aufs Ganze, wollen mittlerweile 25 Jahre Musikbiografie genommen werden wie eine Bergkette in Nepal. Alle Höhepunkte von GoGo, Rock, Fusion und Funk auf einmal. Schon der Titel rollt programmatisch heran: „N.E.W.S.“ als Kürzel für North, East, West, South, das ist die Botschaft, mit der „die Darstellung des globalen kulturellen Spannungsverhältnisses“ anvisiert wird. Unter worldwide macht es einer wie Prince noch immer nicht.
Trotzdem sind die vier jeweils vierzehnminütigen Suiten nicht die gruseligen Gesamtkunstwerke geworden, die man sich bei all dem Konzept vorstellt. Diesmal schwingt es einfach nur etwas langsamer, wird ein Saxofonthema erst mal über Minuten leergeblasen, werden Gitarren im Solo verstrickt und von Klaviergeklimper aufgefangen, wenn sich Prince einen Knoten zu viel in die Finger gespielt hat. Das ist für den Jazzbereich sauber gedrechselter Siebzigerjahre-Standard, dem Gedaddel auf Lenny-White-Superdrummer-Platten nicht unähnlich. Vermutlich funktioniert das hippelige „South“ im Workout-Raum, und die orientalisierten Klänge von „East“ dürften sich gut auf einer Anlage mit Referenzlautsprechern machen. Darin liegt das Elend der Perfektion à la Prince: Der Zauber ist dahin, das Handwerk hat gesiegt. Solche Musik hört die Branche zu Hause als Erholung, nachdem sie ihren heißen Scheiß anderweitig verkauft hat.
Zum Beispiel die Black Eyed Peas. Das HipHop-Trio hat über die Jahre einiges kulturelles Kapital angehäuft, hat sich mit Gästen wie Wyclef Jean und Macy Gray genügend Credibility abgeholt und ist jetzt scharf auf die Charts. Deshalb wurde eine gewisse Stacey Ferguson ins Boot geholt, die mit teenagerhaftem Gekickse den Spaßfaktor erhöht. Zufällig ist ihre „Holiday“-Adaption jedenfalls nicht, und auch der Rest der Gesangseinlagen hat den schmolligen Charme einer Christina Aguilera, den es für MTV braucht.
Nebenher entwickelt „Elephunk“ dennoch genügend Unterscheidungspotenzial, das in Sachen HipHop nötig ist, um nicht im üblichen Faustkämpfer-mit-Herz-Allover unterzugehen. Tatsächlich schaffen es Black Eyed Peas, ein bisschen Ironie zwischen den Beats einzuschmuggeln. Das ist in Zeiten von 50 Cent schon ein kleines Wunder. Ständig wird mit einem Mainstream kokettiert, der in seiner Kategorienlosigkeit von WuTang-Hardcore bis R. Kelly reicht und gerade deshalb überall produktive Nischen bietet – mehr zumindest als der auf den Erhalt eines Status quo bedachte Alternative-Rap-Betrieb.
Bei Black Eyed Peas sind die Rhymes souverän mit raffinierten Bossa- und Latin-Samples verkoppelt, über ein Stück wie „Hey Mama“ freut sich die Dancehall-Gemeinde, für „Anxiety“ dürfen die Nu-Metaller von Papa Roach das No-Future des weißen Reihenhaus-Trash repräsentieren. Mit diebischer Freude wird so Kommerz mit Kommerz ausgehebelt, bis zuletzt Justin Timberlake im Refrain der Hitsingle „Where Is the Love?“ die Zeilen „people killin / people dyin / children hurt and / women cryin“ für alle Kinder dieser Welt singt – schließlich sind das ja die Abweichler von morgen.
Wer sich solchen Tagesstättenkitsch vor den Wagen spannt, weiß um die strategischen Bündnisse im Pop. Oder sind Black Eyed Peas einfach bloß ein Schokoriegel mehr im Warenkorb der Musikvermarkter? Selbst dafür ist „Elephunk“ gut genug. HARALD FRICKE
Prince: „N.E.W.S.“ (MP Media); Black Eyed Peas: „Elephunk“ (Interscope)