: Kopftuch zu Ende gedacht
betr.: „Kopftuchgründe“ von Birgit Rommelspacher, taz vom 18. 7. 03
Ihre Definition der „selbstbewussten Traditionsbildung“ bei muslimischen Frauen in Deutschland finde ich interessant (zu dem Thema gibt es allerdings eine Fülle ganz konträrer Meinungen unter muslimisch-säkularen Frauen) und anerkennenswert, aber sie lässt sich meines Erachtens in die Definition von Schule in Deutschland, ebenfalls gewachsen aus einer Tradition, nicht integrieren. Die Schule in Deutschland erfüllt einen Erziehungsauftrag, der sich an unserer „Mainstream“-Kultur zu messen hat (und in die gehört das Kopftuch nicht) und Vorbildcharakter innerhalb unserer Gesellschaft haben soll. Es ist nicht Aufgabe von deutschen Schulen, die Idee des Kopftuchtragens bei Mädchen zu verbreiten, mal ganz abgesehen von Feminismus oder den Ansichten von „Mittelstandsfeministinnen“. Diese Idee verfehlt ganz einfach jegliche Zweckdefinition von Schule, die sich in erster Linie um Wissensvermittlung und die Erziehung der jungen Generation bemüht. […] MECHTHILD FUCHS, Tübingen
Frau Rommelspacher erklärt die zunehmende Verschleierung von Musliminnen mit einer „aktiven Inbesitznahme kultureller Symbole durch die Frauen“. Da würde ich doch gern mal wissen, wie sie denn die Kopftücher und langen Mäntel von Erstklässlerinnen erklärt. Muslimische Mädchen dürfen teilweise weder am Sportunterricht oder Schwimmen, noch an Klassenfahrten teilnehmen, ganz zu schweigen davon, dass sie sich in diesem „Outfit“ nicht richtig bewegen, sprich spielen und laufen können. Diese unsinnige Kleiderordnung vorpubertärer Mädchen ist ein Skandal, der die Mädchen sozial isoliert und in ihrer persönlichen Entfaltung hindert. Es kann doch kein Zweifel daran bestehen, dass Frauen in der islamischen Gesellschaft eine untergeordnete Rolle einnehmen, die durch die Einschränkung der Bewegungsfreiheit und die Kleiderordnung sichtbar dokumentiert wird. Diese Ungleichbehandlung widerspricht eindeutig unserem Grundgesetz und unserem Antidiskriminierungsgesetz. […]
ELKE RICHARDSEN, Berlin
Mit keiner Ihrer Thesen entkräften Sie auch nur im Ansatz die berechtigte Kritik der GegnerInnen. Der Islam ist nun mal nicht Grundlage unserer Verfassung, basta! Ich bin immer wieder entsetzt, wie salopp Frauen mit dem Begriff Emanzipation umgehen. Es ist schick geworden, in den satten gutbürgerlichen Kreisen, über ein Menschenrecht pikiert den Kopf zu schütteln. Allerdings habe ich auch Verständnis für den schwierigen Spagat, den Frauen machen müssen, die aus einem islamischen Kontext stammen. Aber es ist keine Lösung, den „Schritt zurück“ zu machen.
ROWENA LAXNESS, Berlin
Wortreich streitet Birgit Rommelspacher gegen die Kopftuch-Gegner von Muslimas – in einer Reihe mit AutorInnen, die christliche Symbole und Inhalte für überholt halten, Gleiches bei anderen Religionen aber verteidigen. Sie sollte ihr Argument zu Ende denken, das Kopftuch sei Ausdruck religiöser Überzeugung, der auch bei einer Lehrerin hinzunehmen sei. Trüge ein Mann den traditionellen Fez, gälte er als Besucher eines Maskenballs. Das Kopftuch ist eines mehrerer Bekleidungssymbole, um die Unterordnung der Frau zu unterstreichen: Gesichtsschleier, Ganzschleier für den Kopf, Tschador und Burka. Würde Birgit Rommelspacher auch sie im Unterricht zulassen? Übrigens wurde in Bremen schon in den Siebzigerjahren das wallende Gewand eines zum Buddhismus konvertierten Lehrers nicht zugelassen!
Abgeleitet aus den Suren 24,31 und 33,59 ist der Schleier Zeichen der Zweitrangigkeit der Frau. Daher übernehmen die meisten islamischen Staaten die UN-Menschenrechtsdokumente nicht, weil sie deren Gleichberechtigung postulieren! So widerspricht das Bekenntnis zur orientalischen Kopfbedeckung oder -verhüllung dem Gleichheitssatz und der Pflicht des Staates, die Gleichberechtigung der Frau durchzusetzen und bestehende Nachteile zu beseitigen, Art. 3 Abs. 2 GG; es ist mit dem Eid auf das Grundgesetz unvereinbar – und für muslimische Religionsgelehrte nur eine ländliche Tradition. Atatürks Verbot von Fez und Schleier soll die Türkei in die Moderne führen, den gesellschaftlichen Einfluss des Islams verringern. Birgit Rommelspachers Plädoyer ist ein eigenartiges Verständnis von Integration auf Kosten der Frauen, das zudem den Jungen und Männern schadet. So beruhen schlechte Schulleistungen muslimischer Schüler auf der fehlenden Bereitschaft, die Grundschullehrerinnen als Autorität zu akzeptieren; in den weiterführenden Schulen fehlen dann die nötigen Wissensgrundlagen. ERICH RÖPER, Uni Bremen
Bei all den vielen irrwitzigen Argumentationen um das Kopftuch, um die religiöse Empfindsamkeit von Frau Ludin, ihre persönliche „Emanzipation“ – und was sonst noch von ihren feinsinnigen SympathisantInnen in die Angelegenheit hineininterpretiert wird – empört mich eines: die mangelnde Achtung, der fehlende Respekt vor Kindern! Als ginge es in der Schule nur um LehrerInnen und ihr Gedöhns und nicht vielmehr um SchülerInnen! Das Neutralitätsgebot im Klassenzimmer ist nicht zuletzt ein Erfolg vieler Generationen engagierter PädagogInnen, die die Schule vor ideologischen Zumutungen und Zugriffen sichern sollten.
Unser Schulsystem ist in dieser (und vieler anderer) Hinsicht wahrhaftig nicht perfekt – aber muss man es deshalb verschlimmbessern? Wie kurz ist eigentlich das historische Gedächtnis der KopftuchstreiterInnen? Alles schon vergessen, den ganzen Mief der Nachkriegsära und wie entsetzlich schwer es war, sich von überzeugten RepräsentantInnen konventioneller Geschlechterrollen und religiös verbrämten Respektspersonen frei zu machen? Und was, bitteschön, repräsentiert Frau Ludin als Lehrerin mit Kopftuch denn nun – wenn nicht das: ein überholtes Geschlechterrollenmodell. Wenn ihr reaktionäres Programm Erfolg hat, dann verlieren die SchülerInnen in der Schule ein Stück an Freiraum. Und das wünsche ich keinem Kind.
TINA STADLER, Frankfurt am Main
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