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Archiv-Artikel

Shrek lass nach

HSV-Trainer Martin Jol hat es derzeit nicht leicht – einer seiner Spieler nach dem anderen wird vom Verein verkauft. Wenn das so weiter geht, wird der Niederländer den HSV womöglich Richtung englischer Liga verlassen. Zuvor aber wird er sein Kinn vorrecken. Porträt eines freundlichen Fußball-Riesen

Jol fasst andere Menschen gerne an. Seinen Spielern legt er, bevor er sie auf den Platz schickt, den Arm um die Schulter.

VON ROGER REPPLINGER

Es ist Autogrammstunde beim HSV, es wuselt ziemlich um Trainer Martin Jol herum. Kleine Kinder, denen vor Bewunderung der Mund offen steht, etwas ältere, die sich aber auch nicht trauen, den grimmig und wuschelig zugleich drein schauenden Jol anzusprechen. Es ist laut und es riecht nach mancherlei. Und es ist nicht gemütlich. Jedenfalls nicht für Erwachsene, aber auf die kommt es auch nicht an.

Jol richtet sich in solchen Situationen ein wenig auf. Nimmt den Kopf in den Nacken, und streckt das Kinn vor. Ein, zwei Zentimeter. Willy Brandt machte das auch, wenn ihm was nicht passte. Kinn nach vorne.

Jol hat derzeit viel Gelegenheit, das Kinn vorzuschieben. Kaum war er da, war Rafael van der Vaart, seine bester Mann, weg. Hätte er gewusst, dass der niederländische Nationalspieler zu Real Madrid geht, wäre er nicht gekommen. Und nun Nigel de Jong, der bissige defensive Mittelfeldspieler, der für 20 Millionen Euro zu Manchester City wechselt, die mit dem Geld eines Ölscheichs shoppen. Und nach der Saison wechselt Stürmer Ivica Olic, der alle läuferischen Defizite der anderen HSV-Spieler ausgleicht und dabei auch den Ball ins Tor schießt, wie am Dienstag beim 3:1-Pokalsieg gegen 1860 München: drei Tore Olic.

Der HSV macht, was alle machen. Das Geld zusammen halten. Die Zeiten werden schlecht. Wie man hört, wird nicht alles, was für de Jong eingenommen wurde, reinvestiert. Das kann Jol nicht gefallen. Erstens muss er an einer sich ständig verändernden Mannschaft basteln. Einspielen, Laufwege, Passwege, Harmonie, das wird immer schwieriger. Zweitens verliert er seine besten Spieler. Der nächste könnte Mladen Petric sein. Jol sagt zwar, „so ist das Geschäft“, aber das ist genau der Aspekt am Geschäft, der ihm stinkt.

Maarten Cornelis Jol, in England und Deutschland „Martin“ genannt, wurde 1956 in Den Haag geboren. Damals hieß der Club, der heute ADO heißt, noch FC Den Haag. Jol gewann 1975 den niederländischen Pokal und ging 1978 zum FC Bayern München, der unter Trainer Gyula Lorant gerade eine schwächere Phase erlebte. Mittelfeldspieler Jol machte ein Pokal- und neun Bundesliga-Spiele, davon drei komplett. „Bei den Bayern konnte ich mich gegen Jupp Kapellmann und Kurt Niedermayer nicht durchsetzen“, sagt Jol.

Nach weiteren Engagements bei niederländischen und englischen Clubs wurde Jol Trainer und fing 1991 wieder bei ADO an. 1995 ging er zu Roda JC Kerkrade, in die höchste niederländische Liga. Größter Erfolg mit Kerkrade war der Gewinn des niederländischen Pokals im Jahre 1997, der erste Titelgewinn für Roda nach 30 Jahren. Von 1998 bis 2004 war Jol Trainer des RKC Waalwijk. Er führte den Verein von den Abstiegszone nach oben und wechselte dann zu den Tottenham Hotspurs. Die Spurs waren ein Club mit enormer Vergangenheit und kleiner Gegenwart. Der letzte Titelgewinn lag zehn Jahre zurück.

Unter Jol ging es mit Tottenham aufwärts: 2004 wurden die Spurs 14., 2005 Neunter, 2006 Fünfter. Als der Start der Saison 2007 / 2008 mit nur einem Sieg in zehn Spielen misslang, obwohl Geld ins Team investiert worden war, trat Jol im Oktober 2007 zurück. Sein Nachfolger wurde Clive Allen, Spross alten tottenhamschen Fußballadels. Er hielt sich nicht lange.

Jol mag den englischen Fußball und den Rest der Insel. Ihn stört, dass es in der Bundesliga eine Haltung gibt, als habe seine Karriere mit der Bundesliga begonnen, und außerhalb derselben spiele man mit Stoffbällen. Historisch gesehen war es umgekehrt.

Jol spricht ein englisch gefärbtes Deutsch mit niederländischem Akzent. Ans Ende seiner Sätze hängt er oft ein Schwänzchen: „Ist das nicht so?“, „sagt man so?“ Oder auch nur ein „vielleicht?“.

Mit diesem „vielleicht?“ hat es eine besondere Bewandtnis. Es nimmt die Härte aus dem Fußballgeschäft, auch weil Jol sich und seine Zuhörer an diese Härte nicht in jedem Satz erinnert wissen will. Wenn er „vielleicht“ oder „das kann auch möglich sein“ sagt, dann handelt es sich stets um etwas, von dem er felsenfest überzeugt ist. Als er der Öffentlichkeit klar machen wollte, dass der Fußballspieler Jonathan Pitroipa, großes Talent, geringes Körpergewicht, wenig Tordrang, das Verhältnis zwischen diesen drei Komponenten ändern müsse, um sich beim HSV durchzusetzen, sagte Jol: „Vielleicht muss Jonathan manchmal etwas konkreter werden.“ Er, Jol, wird da in der Öffentlichkeit nie konkreter.

Jol fasst andere Menschen gerne an. Seinen Gesprächspartner tippt er mit dem Finger an. Seinen Spielern legt er, bevor er sie auf den Platz schickt, den Arm um die Schulter. Auch wenn er ihnen auf dem Trainingsplatz etwas erklärt. Jol ist witzig und schlagfertig, er kann gut Grenzen markieren. Er tut das erst mal mit Humor, wenn das nicht reicht, dann noch mal mit Humor.

Wenn es ihm schlecht geht, bekommt er dicke Tränensäcke unter den Augen.

Er hatte das in der Halbserie ein Mal. Aber er hat eine Tochter. Kann sein, dass auch die ihn mal stresst. Tochter Marit ist fünf Jahre alt, und wollte ein weißes Haus. Nun wohnt sie einem Rotklinkerbau in Othmarschen. Jol hat auch ein Haus in London, eins in den Niederlanden und eines in Spanien. Er sagt, auf dieses Thema angesprochen, man habe ihm Seitens der Familie geraten „mein Geld in Steinen anzulegen“. Bei Martin wohnt Bruder Cornelis (55) unterm Dach. Den hat er mitgebracht zum HSV, als Assistenten. Nach dem Spiel gegen Leverkusen war die ganze Familie da: vier Brüder, zwei Schwestern.

Jol weiß, wie er die Menschen nehmen muss. Und er kennt die Norddeutschen. Die eine Schwester hat nach Brake bei Bremerhaven geheiratet. Der HSV hat Jol dann auch gleich zum HSV-Fanclub in die „Brasserie“ nach Brake geschickt. Jol, der als Kind oft dort war, hat vieles wieder erkannt.

Trotzdem könnte Jol Norddeutschland bald verlassen. In der Premier League fällt sein Name immer dann, wenn ein Trainer, aktuell Mark Hughes von Manchester City, wackelt. Sollte der HSV nach allen anderen auch noch Linksverteidiger Thimothée Atouba verkaufen, und danach sieht es aus, wird Jol aber erst noch das Kinn vorschieben.

Die Kinder bei der HSV-Autogrammstunde haben auch deshalb ein wenig gezögert, mit Jol in Kontakt zu treten, weil da diese verblüffende Ähnlichkeit ist. Mit Shrek, dem Oger.