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Archiv-Artikel

Neue Phantombilder

Der Kanzler findet wolkige Worte, Schily kritische und Reemtsma nur ganz wenige. Der Streit um eine Ausstellung wirkt wie eine Zeitreise in die Siebziger

von STEFAN REINECKE

Es ist ein bisschen wie 1977, als die bundesdeutsche Öffentlichkeit in zwei Lager zerfiel: viele Hysteriker, die angesichts des RAF-Terrors die Republik in Gefahr sahen, und wenige, die sich hilflos dem Bekenntniszwang zu entziehen suchten. In Stammheim und bei der Schleyer-Entführung ging es um eine tödliche Tragödie, jetzt wiederholt sich das Gestern als theatralische Inszenierung im Sommerloch. Allerdings eine, die Folgen haben kann.

Die Berliner Kunst-Werke haben für November 2004 eine Ausstellung geplant, die Kunstbilder der RAF, etwa den famosen Stammheim-Zyklus von Gerhard Richter, neben einen zeitgeschichtlichen Teil stellen will. Für Letzteres ist der beim Hamburger Reemtsma-Institut angestellte Historiker Wolfgang Kraushaar zuständig, der in mannigfachen Publikationen seine kritische Distanz zur Linken in den 60ern und 70ern unter Beweis gestellt hat.

Die Aufregung entzündete sich an einem Satz aus dem ersten Konzeptionspapier der Ausstellungsmacher: Dort stand die Frage, „welche Ideen, Ideale nicht als naiv abgetan werden könnten“. Gemeint waren damit im Kontext eher die 68er als die RAFler. Das Papier war längst vergessen, die Entmythisierung der RAF, wozu auch die Zerstörung des Heldenmythos um Baader und Meinhof zählt, kristallklare Absicht der Macher. Doch dann löste ein von Hanns-Eberhard Schleyer und Hergard Rohwedder, der Witwe des 1991 von der RAF ermordeten Treuhand-Chefs, an Kanzler Gerhard Schröder und Innenminister Otto Schily eine mediale Lawine aus. Sie habe den Verdacht, hier werde mit öffentlichen Geldern die RAF geschönt, so die Witwe. Seitdem regiert das Reiz-Reaktions-Schema die Debatte. Es hagelt Angriffe von Politikern gegen ein Konzept, das sie nicht kennen, und mehr oder weniger beflissene Erklärungen der Ausstellungsmacher, alles sei ein Missverständnis und sie hätten selbstverständlich keinerlei Sympathie für die RAF. Schily, in den 70ern Verteidiger von Gudrun Ensslin, schrieb an Rohwedder, er teile dessen „Kritik an der geplanten Ausstellung“. Kanzler Schröder bat Kulturstaatsministerin Christina Weiss, der Sache nachzugehen – in seiner Vagheit eine der intelligenteren Äußerungen in der Affäre.

Man ist mal wieder auf der Jagd nach Sympathisanten. Dazu gehört auch die Produktion von Falschmeldungen, die in dieser Affäre vor allem die Düsseldorfer Rheinische Post betreibt. Auch Nachrichtenagenturen verbreiten seit vorgestern die Meldung, dass Jan Philipp Reemtsma den Ausstellungsmachern verboten habe, mit dem Namen seines Instituts zu werben. Außerdem habe er Hergard Rohwedder mitgeteilt, dass die Ausstellungsmacher „kein angemessenes Konzept“ hätten. Kurzum: eine Distanzierung von dem ganzen Projekt. Das wiegt viel schwerer als empörte Presseerklärungen von CSU-Abgeordneten. Das Reemtsma-Institut beherbergt das größte Archiv über 68, die RAF und die sozialen Bewegungen. Eine zeitgeschichtliche Ausstellung über die RAF gegen das Reemtsma-Institut dürfte es schwer haben.

Doch von Distanzierung oder Verboten kann keine Rede sein. Das Institut für Sozialforschung veröffentlichte bereits vorgestern eine Richtigstellung. Reemtsma habe in einem Brief an Traudl Herrhausen den Satz aus dem ersten Konzeptpapier kritisiert und die (vor der Affäre beschlossene) Verschiebung der Ausstellung auf 2004 begrüßt. Weitere Äußerungen, so die Erklärung lakonisch weiter, „existieren nicht“. Die Macher haben nie mit dem Namen Reemtsma geworben, Reemtsma hat ihnen dies nicht verboten. Doch solche Details interessieren die empörungswillige Öffentlichkeit nicht mehr.

Diese Affäre ist nicht zuletzt eine kleine Zeitreise, die zeigt, wie wenig die aufklärerischen Bemühungen bislang letztlich gefruchtet haben. Andreas Veiel, Regisseur des Dokumentarfilms „Black Box BRD“, der die Geschichte des RAF-Terroristen Wolfgang Grams neben die Biografie des RAF-Opfers Alfred Herrhausen stellt, kommentiert dazu: „Das sind die neurotischen Reflexe der 70er-Jahre. All das erinnert an die schablonenhaften Debatten von 1978.“

Antje Vollmer, grüne Vizepräsidentin des Bundestages und Mitglied in einem Beirat der Ausstellung, sagte gestern der taz: „Wir haben den Terrorismus in Deutschland mit Hilfe von Debatten beendet. Wir werden uns doch jetzt nicht nachträglich verbieten lassen, über die RAF nachzudenken – und zwar über alles: die Historie und die Mythen, die damals entstanden sind. Man muss doch gerade in einer Zeit, in der Terror die Weltpolitik bestimmt, über die RAF ohne Verbote reflektieren dürfen.“

Ob die Ausstellung dem politischen Druck standhält, ist noch offen. Falls etwa der Hauptstadtkulturfonds in Berlin, der die Ausstellung mit 100.000 Euro unterstützt, sich zurückziehen sollte, wäre dies mehr als nur das bedauerliche Scheitern einer Ausstellung. Es wäre ein Zeichen, dass eine zeithistorische und artifizielle Auseinandersetzung mit der RAF nicht gegen eine noch immer leicht hysterisierbare Öffentlichkeit möglich ist. Und das wäre nichts anderes als Zensur light.