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Archiv-Artikel

Kerker-Standort Hamburg

„Wir sitzen auf einem Pulverfass“: Harro Rudolph, Insasse und ehemaliger Gefangenenvertreter der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel, über das Leben im Knast

Wir sitzen im Besuchssaal von „Santa Fu“, bei Anstaltskaffee und Anstaltskuchen. Und Harro Rudolph, 53 Jahre alt und wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt, erzählt. Berichtet davon, wie sich der Knastalltag verändert hat, seit Justizsenator Roger Kusch das Zepter übernommen hat, seit der langjährige Anstaltsleiter Jobst Poenighausen durch Andreas Behm ersetzt wurde. „Wir sitzen auf einem Pulverfass“, sagt Harro Rudolph, „und das geht irgendwann hoch.“

Dass die „Stimmung unter den Gefangenen niedergeschlagen“ ist, liege an zahlreichen Haftverschärfungen, die inzwischen die Lebensbedingungen in Santa Fu völlig verändert hätten. „Früher war die Anstalt nach innen offen, wir konnten uns auf dem Gelände frei bewegen, ohne dass es dadurch zu Problemen gekommen wäre“, erinnert sich Rudolph. „Die Gefangenen konnten sich in ihren Zellen besuchen, die Freizeit miteinander verbringen und jederzeit in ihrer arbeitsfreien Zeit Sport treiben.“

Dann wurden die Einschlusszeiten vorverlegt, Freizeitangebote gekappt, gegenseitige Besuchsmöglichkeiten eingeschränkt, der „Umschluss“ mit einem anderen Gefangenen am Wochenende verboten. „Jetzt sind wir am Wochenende 23 Stunden täglich in unseren Zellen eingeschlossen“, berichtet Rudolph: „Die Gefangenen können ihre Aggressionen nicht mehr abbauen, Depressionen, aber auch Schlägereien nehmen zu.“ Der Langzeitinhaftierte befürchtet deshalb, „dass die Zahl der Selbstmorde im Sommer“ rapide ansteigen werde. Viele Gefangene sähen einfach „keine Perspektive mehr“.

Eine Insassenvertretung gibt es längst nicht mehr, die Gefangenenzeitung „Blickpunkt“ steht nach eigenem Bekunden vor dem Aus. Wer sich nicht anpasse, habe es schwer. „Kusch will uns kuschen sehen“, sagt Rudolph und in seiner Stimme schwingt Resignation mit.

Selbst das zweitägige Sommerfest, für die Gefangenen oft die einzige Möglichkeit im Jahr, etwas Zeit mit der Familie zu verbringen, steht auf der Kippe. Ein neuer Erlass, nachdem nicht mehr als 100 Insassen zur gleichen Zeit am selben Ort sein dürfen, müsste erst wieder aufgehoben werden. „Ständige Willkürmaßnahmen“, wie etwa die „rabiate Räumung der Zellen“, aus denen alles entfernt werde, „was nicht in Ausstattungslisten eingetragen ist, aber jahrelang geduldet wurde“, würden das explosive Klima weiter anheizen.

„Es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten“, sagt Rudolph: „Entweder richten sich die Aggressionen und der Frust der Gefangenen nach innen oder sie wenden sich nach außen.“ Marco Carini