: Jeden Tag Silvester
Die Bundeswehr will für die Luftwaffe einen Bombenabwurfplatz mitten in Berlin
„Ein Areal, wie geschaffen für ein realistisches Kampftraining“, ließ Bundesverteidigungsminister Peter Struck aus dem Urlaub mitteilen. „Ein Glücksgriff mit Einschränkungen“, meint Winfried Nachtwei, der Verteidigungsexperte der Grünen. Und auch Volker Rühe von der Opposition stimmt zu: „Berlin braucht die Bundeswehr, die Bundeswehr braucht Berlin. Es ist gut, dass man jetzt endlich einen Treffpunkt hat.“
Mit „Treffpunkt“ ist der traditionsreiche Plänterwald im Herzen von Berlin gemeint, das Gelände des ehemaligen Kulturparks, auf dem seit mehr als zwei Jahren Riesenrad, Achterbahn und viele Karussells, vom Unkraut überwuchert, vor sich hin rotten. Als sich der ehemalige Betreiber mit einem Teil der Spielgeräte überraschend nach Peru abgesetzt hatte, hinterließ er weinende Kinderaugen, eine Brache von der Größe etlicher Fußballfelder und vor allem Schulden, die bisher alle potenziellen Investoren abschreckten. Nicht die Bundeswehr. Wie aus einem Papier des Verteidigungsministeriums ersichtlich wird, das der Wahrheit vorliegt, plant sie, das Gelände zu nutzen und dort ein „City-Bombodrom“ einzurichten. Auf Anfrage erläutert ein Bundeswehrsprecher, geplant sei lediglich eine Art Dependance jenes Übungsplatzes bei Wittstock, der mit den anvisierten 1.700 Tiefflügen im Jahr jetzt schon völlig überlastet sei.
„Technisch“, so der Bundeswehrsprecher, „ist die Einrichtung eines Schieß- und Bombenabwurfplatzes mitten in bewohntem Stadtgebiet kein Problem. Wir haben, um den Berliner Fernsehturm herum, eine Flughöhe von 370 Metern vorgesehen und gehen nur im unmittelbaren Zielgebiet auf maximal 30 Meter runter.“ Ein paar Dachantennen und die Äste höherer Bäume müssten eventuell abgenommen werden, das sei alles. Zum Einsatz kämen im übrigen nur Raketen und Bomben leichterer Bauart, „Übungsmunition“. Daher habe die Bevölkerung Fehltreffer, Irrläufer oder Blindgänger, die in den umliegenden Straßen und Häusern einschlagen könnten, nicht zu befürchten: „Deshalb üben wir ja, damit das nicht passiert!“
Sicher, Anwohner und Gewerbetreibende hätten sich umzustellen, aber wer müsse das nicht in dieser Zeit. Gesprochen werde derzeit auch über ein nächtliches Verdunkelungsgebot, das Häuser in den angrenzenden Stadtbezirken Treptow, Neukölln und Kreuzberg betrifft, „aber nur vorne raus, denn was die Leute hinten machen, bleibt ihnen überlassen.“ Ansonsten brauche sich Berlin nicht zu verstecken. Jeden Tag sei künftig Silvester, auch tagsüber, das sei eine zusätzliche Attraktion, die viele Touristen anziehen werde.
Ein Bombodrom in der Hauptstadt? Zeit wurde es, bekräftigt die Wehrexpertin der Grünen, Angelika Beer. „Es genügt nicht, immer nur auf der grünen Wiese zu trainieren und dabei die wahren Lebensumstände der Menschen außer Acht zu lassen. Die Terroristen, mit denen wir es zu tun haben, werden uns nicht den Gefallen tun, sich auf einem Übungsplatz der Bundeswehr einzufinden, um sich dort nach idealem Anflug und bei guter Sicht beschießen zu lassen! Die Kampfjets müssen in die Stadt rein, ob sie wollen oder nicht.“ Auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit sagt Ja zum Bombodrom. „Die Berliner haben schon immer gewusst, dass Sicherheit kostet.“ In keiner anderen Stadt der Welt habe man schließlich einen Schutzwall um und durch das gesamte Stadtgebiet gebaut, dagegen sei der Schießplatz ein Klacks. Was die zu erwartende Lärmbelästigung angeht, gibt Wowereit sich gelassen: „Ich bin ja am Flughafen Tempelhof aufgewachsen und habe praktisch jede Nacht unter der Luftbrücke geschlafen.“
Das Land Berlin ist jedenfalls erleichtert, einen neuen Pächter für den einstigen Rummelplatz im Plänterwald gefunden zu haben. Die Bundeswehr freut sich auf Berlin, und die Berliner nehmen’s mit Humor. „Wissense“, sagt schmunzelnd die älterere Dame, die Luftballons verkauft im Plänterwald, „imma noch besser, wir wer’n von die eigenen jetroffen als wieder vom Russn.“ Das ist freilich keineswegs sicher. Denn im Rahmen der Natopartnerschaft sollen auch die russischen Luftstreitkräfte zu Übungsflügen nach Berlin eingeladen werden. GERD NORDMANN