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Archiv-Artikel

Süß ist das nicht

Kinderfernsehen gilt nicht als harter Journalismus – das heißt nicht, dass man dabei nicht verprügelt werden könnte. „Willi wills (eben) wissen“

VON ANJA MAIER

Der Willi, das ist ein ganz Lieber. Der fährt durch Bayern und kriegt Sachen raus, die Kinder interessieren. Zum Beispiel, wie es ist, behindert zu sein, oder wie Obdachlose in München, der Weltstadt mit Herz, leben. Dabei schaut er so frech aus seinen Knopfaugen. Weshalb ihm seine Interviewpartner auch mal Fragen beantworten, die eigentlich ein bissl unpassend sind. Der neunjährige Marco beispielsweise, der in der Behinderteneinrichtung Hegenau lebt, sagt dann auf die Frage, ob es ihm schwer fällt, mit seinem Kopf zu überlegen, dass er abends manchmal weint, weil er das mit seiner Behinderung doof findet.

Willi Weitzel, 32-jähriger Reporter in Diensten des Bayerischen Rundfunks, zieht durch die Lande und fragt so lange nach, bis jedes Kind, das „Willi wills wissen“ einschaltet, verstanden hat, worum es geht. Ob Müllverbrennung, Autobau oder Klosterleben – der Mann kumpelt seine Gesprächspartner an, bis sie ihm nötigenfalls auch ihre Unterhosenmarke anvertrauen würden. Und weil das so ist, hat „Willi wills wissen“ jetzt den Robert Geisendörfer Preis der evangelischen Kirche gewonnen.

Den Preis gibt es seit mehr als zwanzig Jahren, aber in der Kategorie Kinderfernsehen wird er zum ersten Mal verliehen. Claudia Cippitelli, Geschäftsführerin des Gemeinschaftswerks evangelischer Publizistik, freut sich, dass es die Kategorie überhaupt gibt. „Seit Anfang der 90er-Jahre“ schon gebe es die Forderung, Kinderfernsehen vom Spartenprogramm zum anerkannten Sendemodul zu machen.

Dass das so lange gedauert hat, wirft ein Schlaglicht auf die hiesige Wahrnehmung von Kinderfernsehen. Journalisten, die „so was“ machen, gelten unter Kollegen schnell als Sozialfuzzis, verdienstvoll, aber nicht hart genug für wirklich wichtige Themen. Der Deutsche Fernsehpreis wurde 2003 in sage und schreibe 26 Kategorien vergeben. Aber nicht fürs Kinderfernsehen.

Dabei ist dieses Format „nichts Süßes“, sagt Geisendörfer-Preisträger Willi Weitzel. Für ihn und sein Team ist die Auszeichnung „die Bestätigung, dass wir ganz normale Journalisten sind“. Er selbst muss sich das nicht vergegenwärtigen. Vielmehr sei es „eine Ehre“, für Kinder Fragen stellen zu dürfen.

Dass er das kann, zeigen die ausgezeichneten Folgen „Was heißt hier eigentlich behindert?“ und „Was ist ohne Obdach los?“. Während er sich an die Lebenswirklichkeit der gehandicapten Kinder eher vorsichtig herantastet – so wie man ja auch auf der Straße üblicherweise Rollstuhlfahrer nicht anstarrt –, geht er auf die Penner von München locker zu. So locker, dass er mit ihnen eine Nacht im Park schläft, dick verpackt in einen Mumienschlafsack. Reporterpech: In der Nacht werden die Obdachlosen von braven Münchner Bürgern zusammengeschlagen, Willi Weitzel trägt eine Platzwunde am Kopf davon. All das wird natürlich auch in der Sendung erzählt. Und so weh es getan haben mag – lebenswirklicher geht es nicht. Dass ausgerechnet dies eine der ausgezeichneten Folgen von „Willi wills wissen“ ist, will Weitzel nicht überbewerten: „Erstens bekommen wir den Preis für beide Sendungen. Und zweitens: Die wollten da halt irgendeinen überfallen, und das war dann eben ich.“

Der Willi, das ist halt so ein ganz Pragmatischer. „Klar“, sagt er, „wäre der Sendeplatz am frühen Abend besser.“ Da säßen viel mehr Kinder vor dem Fernseher. Momentan ist „Willi wills wissen“ mit Sendeterminen am frühen Nachmittag und am Vormittag nicht gerade privilegiert.

Immerhin, die Juroren des Geisendörfer-Preises haben die Sendung entdeckt, und vielleicht hilft der Preis ja, sie in den Vorabend zu befördern – wenn SuperRTL mit „Powerpuff Girls“ und Pro7 mit „S.O.S. Style and home“ Kinderhirne zumüllen.

„Willi wills wissen“, Di., 14. 10, BR, Mi., 14.00, WDR, und Sa., 10.25 Uhr, ARD