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Archiv-Artikel

Bush überfällt die irische Provinz

Auf dem EU-USA-Gipfel blockieren Demonstranten die Zufahrt zum Tagungsort. Der Gast aus Washington rät erneut zur Aufnahme der Türkei und appelliert an die gemeinsame Verantwortung im Kampf gegen den Terrorismus und im Nahen Osten

AUS ENNISDANIELA WEINGÄRTNER

Der junge Mitarbeiter der russischen Nachrichtenagentur Itar Tass schien seinen Englischkenntnissen nicht zu trauen: „Warum genau müssen wir hier warten?“, fragte er seine Kollegen ein ums andere Mal. Es war Samstag gegen zwei, irgendwo auf einer schmalen Landstraße zwischen dem Pressezentrum in Ennis, County Clare, und dem feudalen Golfhotel Dromoland Castle, wo der US-Präsident samt Ehefrau, Außenminister, Sicherheitsberaterin und einem riesigen Tross an Beratern, Geschäftsleuten und Sicherheitsbeamten abgestiegen war.

Die Tatsache, dass eine Pressekonferenz mit dem mächtigsten Mann der Welt aufgeschoben werden musste, weil ein paar hundert junge irische Demonstranten die Zufahrt zum Tagungsort blockierten, wollte dem russischen Journalisten nicht in den Kopf. Die Stimmung im Bus war ausgelassen. Die Erkenntnis, ganz ungewollt Mitspieler in einer irischen Farce geworden zu sein, bei der überforderte Landpolizisten aus dem friedlichen Conemara Regie führten, löste hysterische Lachsalven aus. Schließlich hatten viele den weiten Weg nach Westirland nur gemacht, um die Begegnung zwischen dem Gastgeber Bertie Ahern, noch für drei Tage EU-Ratspräsident, und dem amerikanischen Präsidenten George Bush live zu erleben.

Ein BBC-Team stieg aus, um das skurrile Bild festzuhalten: Ein schwerfälliger blau gespritzter Doppeldeckerbus mit weißen Sternen darauf, gestrandet in den berühmten grünen Hügeln von Conemara – zu beiden Seiten Schafe, Kühe und irische Polizisten, so weit das Auge reicht. Auf die Frage, ob es nicht besser wäre, das kleine Stück zum Schloss zu Fuß zu gehen statt darauf zu warten, dass die fröhlich auf Blechtabletts trommelnden Demonstranten die Zufahrt räumten, hatte der Sicherheitsbeamte im Bus eine verblüffende Antwort: „Sie können hier nicht raus, weil Sie schon sterilisiert sind. Wenn Sie rausgehen, werden Sie kontaminiert und zur Pressekonferenz nicht mehr zugelassen.“

Also ließen sich die „sterilisierten“, also bereits sicherheitsüberprüften Journalisten eine weitere halbe Stunde durch die Landschaft chauffieren und konnten dabei ihre Gedanken schweifen lassen: über die Parabel von der Mücke, die den Elefanten mit einem winzigen Stich zum Wahnsinn treiben kann. Über das gute alte Europa, wo die Demonstranten in der Kultur friedlichen Protests einige Raffinesse entwickelt haben. Und über die grotesken Szenarien, die entstehen, wenn der von Terrorfurcht gepeinigte Chef der Supermacht in eine friedliche Landprovinz einfällt.

Als die Journalisten mit halbstündiger Verspätung auf dem Rasen vor der Kulisse des aus schwarzen Felssteinen erbauten Schlosses ankamen, stimmten die Bilder wieder: Ein lächelnder George Bush schlenderte, in angeregtes Gespräch mit Bertie Ahern und Romano Prodi vertieft, auf das Podium zu. Ein leichter irischer Sommerwind zerrte an den Rockschößen der Herren und ließ die irische, die europäische und die amerikanische Flagge auf dem Hauptturm dekorativ im Gleichklang flattern. Der Präsident gratulierte zur gelungenen Wiedervereinigung Europas und mahnte dann: „Wenn die Türkei die europäischen Standards erfüllt, sollte die Union Verhandlungen beginnen, die zur Vollmitgliedschaft führen. Es geht nicht nur um gemeinsame Werte, sondern auch um gemeinsame Verantwortung.“

Die Botschaft war deutlich: Die USA brauchen ein strategisch starkes Europa im Kampf gegen den Terrorismus, im Nahen Osten und beim Wiederaufbau des Irak. Noch wichtiger aber, so machte Bush klar, ist für ihn die Unterstützung durch die Nato: „Die Nato muss sich den Herausforderungen des einundzwanzigsten Jahrhunderts stellen. Sie kann den Menschen im Irak helfen. Sie muss zu einer neuen Rolle in der Welt finden.“

Gastgeber Ahern versicherte auf Nachfrage, er habe die Reizthemen Abu Graib und Guantánamo nicht ausgespart: „Der Präsident ist ebenso besorgt wie ich. Wir haben eine so gute Zusammenarbeit, das Thema Menschenrechte hat für uns so hohe Priorität, dass wir diese Dinge ganz offen besprechen können.“