: Ein Denkmal, das endlich bröckelt
AUS SARAJEVOERICH RATHFELDER
Als am letzten Freitag Soldaten der SFOR-Friedenstruppen das Panorama-Hotel in Pale bei Sarajevo durchsuchten, glaubten sie selbst nicht, Radovan Karadžić, anzutreffen. Doch die Aktion gehört zur psychologischen Kriegsführung, die seit Monaten gegen den ehemaligen Serbenführer betrieben wird. Der irgendwo in der serbischen Teilrepublik in Bosnien und Herzgowina untergetauchte Karadžić soll sich nirgends sicher fühlen. Er soll gezwungen werden, aus seiner Deckung aufzutauchen.
Radovan Karadžić muss sich also Sorgen machen. Seit seinem 59. Geburtstag vor zehn Tagen hängen überall in Pale, der Hochburg der serbischen Radikalen, Plakate der SFOR. „Wir haben dich nicht vergessen“ heißt es darauf. Und in Zeitungsanzeigen wird das Geschenk abgebildet, das die internationale Gemeinschaft dem Expsychiater machen will: ein Flugticket nach Den Haag. Die Aktionen sollen der Welt zeigen, dass die internationale Gemeinschaft es jetzt wirklich ernst meint damit, Karadžić und den Oberkommandierenden seiner Armee, Ratko Mladić, sowie 16 andere gesuchte Kriegsverbrecher, hinter Schloss und Riegel zu bringen.
Am Ende des Jahres werden die SFOR-Friedenstruppen, die von der Nato angeführt werden, das Land verlassen und einer EU-Truppe Platz machen. Vor allem die aus Bosnien abziehenden Amerikaner drängen darauf, bis dahin den Job zu Ende zu führen. In Washington und den europäischen Hauptstädten ist man sich seit Beginn des Jahres einig: Wenn Karadžić bis zum 28. Juni, also bis heute, nicht in Den Haag ist, würde die Integration des Landes in die Nato-Strukturen, die „Partnerschaft für den Frieden“ nicht fortgesetzt. Jeder Bosnier weiß, was das bedeutet. Dann werden die Verhandlungen über die Integration des Landes in die Europäische Union auf die lange Bank geschoben. Und das schadet nicht nur den anderen Volksgruppen in Bosnien, sondern auch den bosnischen Serben selbst. Vor allem, seit das Nachbarland Kroatien auf die Mitgliedschaft in der EU 2007 hoffen kann, wachsen die Erwartungen auf Beitrittsverhandlungen auch in Bosnien.
Das Datum für das Nato-Ultimatum ist gut gewählt. Der heute gefeierte Vidov-Dan gehört zu den großen nationalen Feiertagen der Serben. Karadžić ist zu diesen Ereignissen in den letzen Jahren mehrmals in Kirchen oder auf Plätzen aufgetaucht. Diesmal aber stünden die SFOR-Soldaten bereit. So heißt es jedenfalls in Geheimdienstkreisen. Florence Hartmann, Sprecherin des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag, erklärte am Wochenende sogar optimistisch, Karadžić würde sich in den nächsten Tagen freiwillig dem Tribunal stellen.
Zu oft allerdings wurde die Verhaftung des Gesuchten angekündigt. Zu oft wurden aber auch die Pläne der Militärs an Karadžić verraten. So im Jahr 2000, als eine groß angelegte Militäraktion im Osten des Landes im Sande verlief. Oder im März, als es hieß, Karadžić wollte sich im Krankenhaus in Pale behandeln lassen. Die SFOR verwundete damals zwar einen Priester und seinen Sohn schwer, Karadžić jedoch blieb verschwunden. Angeblich hatte der serbische Geheimdienst von der Aktion Wind bekommen und Karadžić vorher aus Pale weggebracht.
Das am vergangenen Freitag in Pale durchsuchte Hotel diente als Zentrum der serbisch-bosnischen Führung während des Krieges 1992 bis 1995. Hier empfing Serbenchef Radovan Karadžić Gäste aus aller Welt. Hier entstanden Fotos, an die viele internationale Politiker heute nicht mehr gern erinnert werden.
Dennoch sieht es so aus, als wolle die internationale Gemeinschaft diesmal an einem Strang ziehen. Die Chefanklägerin des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag, Carla del Ponte, hat das in den letzten Wochen mehrmals betont. Und aus ihrem Munde klingt es glaubwürdig, wenn sie vom „gemeinsamen Willen“ spricht. Schließlich ist sie die Frau, die jahrelang für eine geschlossene Haltung der internationalen Gemeinschaft gekämpft hat. „An den Taten wird man Sie messen“, teilte sie den Vertretern der bosnischen Serben bei einem kürzlichen Besuch mit und forderte so die „Kooperation“ der serbischen Führung mit Den Haag ein.
Diese Aussage könnte freilich auch für die internationale Gemeinschaft gelten. Paddy Ashdown, der Hohe Repräsentant für Bosnien, setzt zwar weiterhin vor allem auf diplomatischen Druck. Doch seine Maßnahmen gegen die bosnischen Serben könnten durchaus wirksam sein. Sollten die Führer der regierenden Serbischen Demokratischen Partei nicht kooperieren und Karadžić ausliefern, stünde die Existenz der serbischen Teilrepublik auf dem Spiel, so lautete seine – freilich nie direkt ausgesprochene – Drohung. Nach dem 28. Juni könnte die gesamte Führungsriege entlassen werden, heißt es in bosnischen Regierungskreisen. Zwar sei die Existenz der Republika Srpska im Friedensabkommen von Dayton international anerkannt worden, erklärte der Stellvertreter Ashdowns, Werner Wnendt, doch müsse auch der Gesamtstaat funktionieren.
Dieser Gesamtstaat aber, so Wnendt weiter, habe bisher wenig Macht gehabt, die meisten Entscheidungen wurden in den beiden Entitäten, der Republika Srpska und muslimisch-kroatischen Föderation getroffen. Immerhin ist es in den letzten Monaten gelungen, die drei Armeen der Volksgruppen unter ein Oberkommando zu stellen, die Geheimdienste zusammenzuschließen und eine weitgehende Erziehungsreform durchzusetzen. Nach Ansicht Wnendts ist so immer mehr Macht von der Republika Srpska und der Föderation auf den Gesamtstaat übergegangen.
Und die Drohungen haben Wirkung gezeigt. Als der Präsident der serbischen Teilrepublik vor einer Woche vor die Kameras des Fernsehens trat, ahnte noch niemand von der Sensation, die folgen sollte. Denn Dragan Cavić sprach von Srebrenica als dunklem Kapitel in der serbischen Geschichte. „Niemand könne das Verbrechen von Srebrenica rechtfertigen“ erklärte er. Die Verbrecher hätten mit ihren Taten der serbischen Nation schweren Schaden zugefügt. In Zukunft müssten die Menschen in Bosnien und Herzegowina, Kroaten, Muslime und Serben, wieder zusammenleben können.
Damit hat zum ersten Mal ein serbischer Nationalist zur Versöhnung der Volksgruppen aufgerufen. Cavić ist schließlich nicht nur Präsident der Teilrepublik, sondern auch ein führendes Mitglied der „Serbischen Demokratischen Partei“, der Partei also, die 1992 den Krieg in Bosnien 1992 begann, die schuldig ist an den ethnischen Säuberungen, der mehr als 200.000 Menschen zum Opfer fielen.
Mit seiner Äußerung rührt Cavić an den ideologischen Grundfesten der serbischen Nationalisten in Bosnien. Man kann sie sogar als Kampfansage an Karadžić verstehen. Zwar bekam Cavić nicht ungeteilten Beifall, doch es gab auch nicht den befürchteten Aufschrei des Protestes in der serbischen Bevölkerung. Manche Geschäftsleute wollen insgeheim nicht einsehen, weiterhin Schutzgelder für das Netzwerk des Radovan Karadžić zu bezahlen.
„Niemand weint Radovan Karadžić mehr eine Träne nach“, meint ein bekannter serbisch-bosnischer Publizist hinter vorgehaltener Hand. Öffentlich sagen will er das aber nicht. Einige Kollegen haben in den letzten Jahren ihre Kritik an Karadžić mit dem Leben bezahlt. Doch die Unterstützung bröckelt. Davon ist er überzeugt. Und die deutlichen Worte Cavić’ zu Srebrenica könnte seiner Meinung nach anderen Serben Mut machen, ihren ehemaligen Führer auch öffentlich zu kritisieren.
Verunsicherung macht sich aber auch im Netzwerk Karadžić’ selbst breit. Einige Dutzend Leute aus seinem Umkreis sind von der SFOR verhaftet und verhört worden. Für den Untergrund wichtige Bankkonten wurden gesperrt. Der Gesuchte sei zwar schlau genug, keine Telefone mehr zu benutzen, das Netzwerk funktioniere jetzt nur noch über Kuriere. Doch auch die Trittbrettfahrer machten ihm zu schaffen. Nicht alles erpresste Geld erreichte ihn, manche Kriminelle behielten die „Sondersteuern“ für sich.
Karadžić’ Position ist geschwächt, heißt es in westlichen Geheimdienstkreisen. Es sieht also schlecht aus für die serbisch-bosnische Führung. Der Druck, Karadžić fallen zu lassen, ist zweifellos gewachsen. Karadžić oder zumindest einige der 16 anderen vom Tribunal gesuchten Serben könnten deshalb in den nächsten Tagen das Bauernopfer sein, um die Existenz der Republika Srpska zu sichern.