: Ein Grab für CO2
von BERNHARD PÖTTER
Schlank und scheinbar zerbrechlich ragen die Fördertürme aus der grauen See. Die Plattform mit den Bohrgestängen, den Unterkünften für die Mannschaft und dem Hubschrauberlandeplatz schwebt haushoch über dem Meer. Die Bohrinsel im Sleipner-Gasfeld in der Nordsee sieht aus wie eine ganz gewöhnliche Offshore-Plattform. Nur ein 35 Meter hohes Modul mit zwei Absorbertürmen, Filtern, Turbinen und Tanks weist darauf hin, dass hier, auf halbem Weg zwischen Norwegen und Schottland, etwas Ungewöhnliches passiert: ein Großversuch, der die Zukunft der globalen Klimaschutzpolitik massiv verändern könnte.
Denn im Sleipner-Gasfeld pumpt die norwegische Staatsfirma Statoil nicht nur Gas an die Oberfläche. Gleichzeitig drücken die Pumpen der Plattform das Klimagas Kohlendioxid (CO2) wieder unter die Erde. 800 Meter unter dem Meeresboden befüllt Statoil eine Schicht des Sandsteins mit dem CO2, das aus dem dort geförderten Erdgas abgeschieden wird.
Sleipner ist die erste funktionierende Anlage zum Wiedereinschluss von Kohlendioxid. Und deshalb findet die unscheinbare Plattform in der Nordsee im Augenblick großes Interesse. Denn eine immer drängendere Frage für Klimapolitiker und Industriemanager lautet: Können die Industriestaaten einen Teil ihrer klimaschädlichen CO2-Emissionen unter der Erde versenken, statt sie in die Luft zu blasen?
Statoil macht es vor. Seit 1996 presst das Unternehmen in einem Pilotprojekt mit anderen Ölfirmen, Regierungen und der EU-Kommission jährlich eine Million Tonnen Kohlendioxid zurück unter die Nordsee. Ohne Sleipner, haben die Statoil-Experten errechnet, läge Norwegens CO2-Ausstoß um 3 Prozent höher. Und weil das Projekt erfolgreich ist, sollen weitere folgen: So plant Statoil zurzeit im Snovhit-Feld in der Barentssee 200 Kilometer vor der Norwegischen Nordküste das nächste CO2-Endlager: 23 Millionen Tonnen, 2 Prozent der gesamten CO2-Emissionen Norwegens, sollen in den nächsten 30 Jahren hier aufgenommen werden. Das Unternehmen ist so zufrieden, dass das Projekt den hausinternen Umweltpreis gewann. Und Statoil-Manager Tore Torp preist es als Ausweg aus der Klimafalle. „Sleipner hat eine Kapazität zur Aufnahme von 600 Milliarden Tonnen CO2. Das Kohlendioxid aller europäischen Kraftwerke könnte hier für 600 Jahre gelagert werden.“
Das Modell „Einfangen und wegsperren“ für Klimakiller findet im Moment breites Interesse: Auf den kanadischen Weyburn-Ölfeldern, im schlesischen Kohlegebiet, vor der Küste der Vereinigten Arabischen Emirate und in Japan – überall testen Geologen den Untergrund für eine Lagerung der Klimagase. Die internationale Energieagentur IEA listet 85 Forschungs- und Erkundungsprojekte auf, wie man mit dem CO2 anders umgeht, als es in die Atmosphäre zu entlassen. Mitte Juli begannen in New Haven im US-Bundesstaat West Virginia Bohrungen, die das Gestein 3.000 Meter unter dem Tal des Ohio River erkunden sollen. US-Energieminister Spencer Abraham nennt den CO2-Einschluss ein „exzellentes Beispiel, mehr aus unseren heimischen Energiequellen zu machen und gleichzeitig die Umwelt zu schonen“. Experten gehen davon aus, allein für die USA 250 Milliarden Tonnen CO2 unterirdisch speichern zu können – den Ausstoß der USA für etwa 45 Jahre.
Ende Juni erreichten diese Anstrengungen eine neue Dimension. In Washington unterzeichneten Vertreter der USA, der EU, Russlands, Brasiliens, Indiens, Chinas die Charta für das „Carbon Sequestration Leadership Forum“. Darin verpflichten sich die Staaten zu verstärkter Forschung an dem Verfahren, das laut EU-Energiekommissarin Loyola de Palacio die Chance bietet, beim „wichtigen Kampf gegen den Klimawandel zu helfen – mit CO2-Reduktionen weit über das Kioto-Protokoll hinaus“. In den letzten zehn Jahren hat die EU 30 Millionen Euro für die Forschung ausgegeben. Diese Summe soll auf 200 Millionen Euro steigen.
Das Geld wird dringend gebraucht. Denn so simpel die Idee, so schwierig ist die Durchführung des Projekts Carbon Capture and Sequestration. Die größten Hindernisse bisher: Das Abscheiden des Klimagases verteuert den Strom, der in Kohlekraftwerken entsteht, um 4 bis 9 Cent pro Kilowattstunde. Das ist das Doppelte der jetzigen Entstehungskosten. Auch Sleipner schreibt nur deshalb keine roten Zahlen, weil Statoil damit die norwegische CO2-Steuer vermeidet, die für Sleipner 120.000 Euro pro Tag betragen würde. Eine solche Abgabe hat die Industrie im übrigen Europa und den USA aber immer heftig bekämpft.
Noch ist unklar, wo und wie viel Speicherkapazität überhaupt zur Verfügung steht und wie sicher diese Speicher sind. Wer garantiert, dass das gefangene Kohlendioxid nicht irgendwie und irgendwann austritt und in die Atmosphäre entweicht? „Die Lagerstätten sind dicht“, sagen die Befürworter. Schließlich sei auch das Erdgas tausende von Jahren sicher abgeschlossen gewesen.
Umweltschützer wie das Climate Action Network (CAN) warnen vor allem vor anderen Formen der Speicherung wie der Einleitung des Kohlendioxids in die Tiefsee. Die Umweltschützer, monieren vor allem, dass Abscheidung und Lagerung des CO2 noch einmal bis zu 20 Prozent mehr Energie verbrauche und damit mehr CO2-Ausstoß verursache. Und schließlich fürchtet CAN, die Entsorgung des Klimagases werde eine notwendige Wende zu erneuerbaren Energien verzögern.
Das aktuelle Interesse der Industriestaaten an der Speicherungstechnik kommt nicht aus heiterem Himmel. Bereits jetzt ist absehbar, dass sie ihre völkerrechtlich verbindlichen Ziele zum Klimaschutz aus dem Kioto-Protokoll weit verfehlen werden. Und die Projektionen für die Zukunft lassen erwarten, dass das Problem CO2-Ausstoß eher größer als kleiner wird: Schwellenländer wie China und Indien setzen massiv auf den Ausbau der heimischen Kohleenergie, um ihre wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben. Eine Bescheinigung über die Unbedenklichkeit der dreckigsten Energieform käme da sehr gelegen.
In Deutschland kommt noch eines hinzu: Derzeit entscheiden die großen Energieunternehmen, welche Art von Kraftwerken sie in den nächsten 50 Jahren am Netz halten wollen. Einerseits werden wegen des Atomausstiegs die Atomkraftwerke vom Netz genommen. Andererseits läuft bei vielen Kohlekraftwerken die Lebensdauer ab. Die Enquetekommission des Bundestags zur nachhaltigen Energieversorgung schätzt, dass bis 2025 Kraftwerkskapazitäten von 40 bis 60 Megawatt neu gebaut werden – etwa 70 Kraftwerksblöcke der heutigen Größenordnung. Bis 2030 stehen damit Investitionen von 50 bis 60 Milliarden Euro an – und eine Weichenstellung für die Klimapolitik: „Die Investitionsentscheidungen der nächsten 15 Jahre“, schreibt die Enquetekommission, „werden das Niveau der Treibhausgasemissionen im Jahr 2050 maßgeblich bestimmen.“
So erwärmt sich dann auch die Kohlelobby für die CO2-Speicherung. Der Gesamtverband des deutschen Steinkohlebergbaus erklärte bei einer Anhörung des Rates für Nachhaltigkeit, die Technik für CO2-Abscheidung und Lagerung sei „bekannt und durchführbar“, die „Einbringung in Erdgasfelder bietet gute Realisierungschancen“.
Gegen diese lebensverlängernden Maßnahmen für die Kohlewirtschaft wendet sich Bundesumweltminister Jürgen Trittin. Ihm schwebt eine Energielandschaft vor, die sich vor allem auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien konzentriert. So errechnet das Umweltbundesamt in seinem neuen Jahresbericht, dass allein mit dieser Kombination aus Sparen und Umschalten eine Reduktion der deutschen Treibhausgase um 80 Prozent bis 2050 möglich sei. Auch weltweit sei es eher sinnvoll, etwa in China bei der Effizienzsteigerung der Kohlkraftwerke zu helfen, als sich auf die CO2-Lagerung unter Tage zu konzentrieren, heißt es aus dem Umweltministerium: „Wenn Sie dort den Wirkungsgrad der Kraftwerke von 30 auf 40 Prozent steigern, tun Sie mehr für den Klimaschutz.“ Und auch die Enquetekommission ist skeptisch, was die Speicherung unter Tage angeht: Diese Option werde „nur einen quantitativ und zeitlich sowie regional deutlich begrenzten Wirkungsbeitrag zum Klimaschutz erbringen können“.
Regional deutlich begrenzt, aber dennoch ganz im Sinne der Umweltschützer ist das Forschungsvorhaben CO2SINK in Ketzin bei Berlin. Dort prüft das Geoforschungszentrum Potsdam, ob die Speicherung von CO2 in einem alten Gasspeicher möglich ist. Der Clou in Sachen Klimaschutz dabei: Langfristig denken die Geoforscher daran, in Ketzin ein Biomassekraftwerk zu bauen. Das wiederum hat schon bei Normalbetrieb eine ausgeglichene Kohlendioxidbilanz: Anders als bei den fossilen Energieträgern Öl und Kohle geht hier nur das CO2 in die Luft, das vorher daraus gebunden wurde. Würde dieses CO2 auch noch gespeichert, hätte man aus Sicht des Klimaschutzes den Stein der Weisen gefunden: ein Kraftwerk, das die Atmosphäre entlastet.