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Archiv-Artikel

Eine große Geschichte des Scheiterns

FBI und CIA hatten Hinweise auf bevorstehende Anschläge. Laut dem Untersuchungsbericht wurden diese jedoch nicht ernst genommen oder nicht verknüpft. Die Geheimdienste hätten seit Anfang der Neunzigerjahre Hinweise auf Szenarien mit Passagierflugzeugen gehabt

BERLIN taz ■ Es ist ein mächtiges Werk, das die Untersuchungskommission zu den Terroranschlägen am 11. September 2001 da zusammengetragen hat. Auf über 800 Seiten beschreiben sie detailliert, welche Hinweise und Spuren FBI und CIA vor dem 11. 9. hatten – und im Rückblick lesen sich die zusammengetragenen Hinweise tatsächlich wie eine große Geschichte des Scheiterns.

Informationen, die sich im Nachhinein als bedeutsam herausstellten, waren laut dem Bericht rechtzeitig vorhanden, wurden aber entweder nicht ernst genommen oder nicht verknüpft – so wie die von den beiden späteren Hijackern an Bord des Flugzeugs der American Airlines, das um 9.39 Uhr im Pentagon einschlug, Nawaf al-Hazmi und Khalid al-Mihdhar. So wusste die CIA bereits im Januar 2000 über die beiden, dass sie im Nahen Osten Verbindungen zu terroristischen Organisationen unterhielten, in Malaysia gerade ein mutmaßliches Al-Qaida-Treffen besucht hatten und über ein B-1B-2-Multiple-Entry-Visum für die USA verfügten. Dennoch kamen die Namen der beiden nicht auf die Liste des Außenministeriums oder der Einwandungerungsbehörde INS, um ihnen die Einreise in die USA zu verwehren. Die Bundespolizei FBI gibt an, von der CIA nicht über die Möglichkeit informiert worden zu sein, dass die beiden sich in die USA begeben könnten.

Im März 2000 empfing das CIA-Hauptquartier die Nachricht aus dem Ausland, dass al-Hazmi und al-Mihdhar inzwischen in die USA eingereist waren. Im Januar 2001 kam die Information dazu, dass beide sich in Malaysia auch mit einem mutmaßlichen Verantwortlichen des der al-Qaida zugeschriebenen Anschlags auf das US-Kriegsschiff „Cole“ in Jemen getroffen hatten – nichts geschah.

Erst am 23. August 2001, wenige Wochen vor den Anschlägen in New York und Washington, wurde schließlich eine Personenwarnung auch an das FBI weitergegeben und das Außenministerium gebeten, die beiden auf die „Watchlist“ zu setzen. „Selbst jetzt aber“, schreibt die Kongresskommission empört, „war da nichts von einer gemeinsamen Anstrengung zu merken, zwei mit Bin Laden in Verbindung stehende Terroristen in den USA ausfindig zu machen – in einer Zeit, als die Warnung vor Terroranschlägen einen absoluten Höhepunkt erreicht hatte.“

Mehr noch: Während al-Hazmi und al-Mihdhar in Kalifornien lebten, hatten sie regelmäßigen Kontakt zu einem Informanten des FBI, die Berichte wurden jedoch erst nach dem 11. September weitergegeben. Für den zuständigen FBI-Mitarbeiter und seinen Informanten gab es keinen Grund, gegen die beiden saudischen jungen Männer, die sich da legal in den USA aufhielten, um das Land kennen zu lernen und die Schule zu besuchen, irgendeinen Verdacht zu schöpfen.

Der Bericht der Untersuchungskommission hält eine Fülle solcher Beispiele bereit. Obwohl sich die Verantwortlichen in der Öffentlichkeit nach dem 11. September schockiert und gänzlich überrascht von der Idee gezeigt hatten, dass zivile Passagierflugzeuge als fliegende Bomben für Terroranschläge eingesetzt werden können, zeigt der Bericht auf, dass die Geheimdienste bereits seit Anfang der Neunzigerjahre auf derartige Szenarien gestoßen waren.

So richtet sich denn die Hauptkritik der parlamentarischen Untersuchung an die Organisation der Sicherheitsbehörden und die fehlenden finanziellen Mittel. Zwar habe CIA-Chef George Tenet schon im Dezember 1998 in einem internen Memo erklärt, die USA befänden sich im „Krieg“ mit al-Qaida und müssten alle finanziellen und personellen Anstrengungen zusammenziehen, um den Kampf zu gewinnen. Doch davon bekam kaum jemand etwas mit, und wer es hörte, nahm Tenets Aufruf nicht weiter ernst. Weiterhin etwa fehlten schlicht Fremdsprachenkundige, um die Vielzahl im Ausland abgefangener Mitteilungen überhaupt zeitnah übersetzen zu können.

„Fast sofort nach dem 11. September 2001 wurde das Personal im CTC (CIA-Hauptquartier zur Terrorismusbekämpfung) substanziell aufgestockt. Einen solchen Zuwachs an Ressourcen gab es weder im Dezember 1998, nach der Kriegserklärung des CIA-Direktors, 1999 in der Millenniumskrise noch nach dem Angriff auf die ‚USS Cole‘ im Oktober 2000“, kritisieren die Abgeordneten. Sie zitieren außerdem zahlreiche Zeugen, die für sie die These belegen, dass die zu strikte Trennung zwischen geheimdienstlicher Arbeit im Ausland, die von CIA und den anderen Diensten zu verrichten ist, und der polizeilichen Aufgabenstellung des FBI im Inland für die mangelnde Verknüpfung der verschiedenen losen Enden verantwortlich ist, deren Verbindung den 11. September womöglich hätte verhindern können. Ein strukturelles Problem: Der Director of Central Intelligence, theoretisch Herr über alle US-Geheimdienste, ist vor allem CIA-Chef. Er hat insofern nur auf einen kleinen Teil der geheimdienstlichen Ressourcen tatsächlichen Zugriff.

So sind die Schlussfolgerungen aus dem Bericht unzweideutig: Aufgrund einer Mischung von strukturellen Problemen, Unterfinanzierung, fehlender Konzentration auf den Gegner al-Qaida und unglücklichen Umständen seien die Geheimdienste nicht in der Lage gewesen, die verschiedenen Indizien, die auf Täter und Art der Anschläge vom 11. September hindeuteten, zusammenzufügen und auszuwerten. BERND PICKERT