Musik zum Atmen

Stimmungsvoller Auftakt der 58. Sommerlichen Musiktage: Am ersten Tag stand Venedig im Mittelpunkt der Konzerte in Hitzacker. Einzig Repräsentanten des Kultusministeriums fehlten

von RAINALD HANKE

Nicht nur ein hoch ambitioniertes Programm haben sich der Intendant Markus Fein und seine Mitstreiter vorgenommen. Wer im Veranstaltungsort Hitzacker angekommen ist, dem fällt auf, dass es dieses Jahr erstmals bei den Sommerlichen Musiktagen gelungen ist, Festivalstimmung auf dem Platz vor dem Kurkonzerthaus oberhalb der Elbe zu erzeugen. Zwei schattenspendende Zelte und diverse Stände sorgten für entspanntes Wohlsein. Geschmackvolle Möblierung mit Holztischen und Stühlen verführte geradezu zu Plausch und Schmaus. Und auch das Wetter spielte mit: Sonnenschein ohne Hitze.

Der Rahmen stimmte also bereits vor dem Auftaktkonzert. Für dieses mussten sich die Zuhörer allerdings eine halbe Stunde gedulden, ehe der ehemalige Präsident des Niedersächsischen Landtages, Rolf Wernstedt, den Reigen der Redner mit lakonischer Prägnanz und sympathischer Glaubwürdigkeit beendete. Das Fehlen eines ranghohen Repräsentanten des Kultusministeriums im Reigen der Begrüßten fiel manchem Besucher zu Recht negativ auf.

Als dann endlich der erste Ton des Festivals, das unter dem Motto „Von Traumstädten und Phantasiewelten“ steht, erklang, durfte man staunen: Dem Norddeutschen Figuralchor unter Jörg Straube gelang es mühelos, Francesco Cavallis Magnificat als schwieriges Anfangsstück überzeugend zu vermitteln. Giovanni Gabrielis anschließende Motette gelang ebenfalls auf einem hohen Niveau. Danach sprang man im Programm vom Venedig des 16. Jahrhunderts in das des 20. Luigi Nonos frühes Liebeslied für gemischten Chor, Schlagzeug und Harfe konnte allerdings trotz kompetenter Interpreten wenig überzeugen. Nonos Klangsensibilität und Erfindungskraft ist in diesem Stück noch zu wenig entwickelt.

Es schloss sich als zentraler Programmpunkt „Hyperions Schicksalslied“ von Bruno Maderna an. Die außerordentlich dicht gearbeitete, enorm klangsuggestive Hölderlin-Vertonung ließ in der zwingenden Interpretation Jörg Straubes, seines Chores und Mitgliedern des Neuen Ensembles Hannover nur einen Wunsch offen, nämlich all diese Stücke noch einmal in einem geeigneten Raum hören zu können. Die extrem trockene Akustik im Kurhaus nahm fast allen Werken dieses Konzertes einen erheblichen Teil ihrer Wirkungskraft, wurden sie doch für große und stark nachhallende Kirchenräume geschrieben.

Das zweite Eröffnungskonzert bot noch einmal Musik mit Venedig-Bezug. Streichquartette der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts von Maderna und Malipiero wurden romantischer, von Venedig inspirierter Klaviermusik von Felix Mendelssohn, Frédéric Chopin und Franz Liszt gegenübergestellt. Und dieses Programmkonzept funktionierte vom ersten bis zum letzten Ton dank vorzüglicher Abstimmung der Werke aufeinander und exquisiter Musiker. Vom renommierten Keller-Quartett konnte man eine vorzügliche Interpretation durchaus erwarten; vom weniger bekannten ungarischen Pianisten Dénes Várjon wurde das Publikum sehr positiv überrascht.

Da spielte ein Meister seines Faches die berühmten drei Stücke „Venezia e Napoli“ und zwei Stücke aus dem musikalisch weit in die Zukunft weisenden Spätwerk von Franz Liszt so poetisch wie geistig klar, als ob dies eine Selbstverständlichkeit wäre. Dabei drängte sich nie spektakuläres Virtuosentum in den Vordergrund,sondern immer nur der Wille, diese Musik zum Atmen und sein Instrument zum Singen zu bringen. Und dies gelang auf faszinierende Weise.