: Negative Keimzelle und Vorzeigeobjekt
Die Wende hat das Studio Bildende Kunst in Lichtenberg überstanden. Jetzt soll es weggespart werden. Das Bezirksamt beruhigt, kein Künstler werde auf die Straße gesetzt. Diese aber fürchten um die Nachwuchsausbildung
Eine typische Ostberliner Wohnsiedlung mit Plattenbauten und einem Supermarkt findet sich dort, wo der Bezirk Lichtenberg an Friedrichshain grenzt. Die Straßen sind noch nach von Nazis ermordeten Antifaschisten wie Harro Schulze-Boysen oder John Sieg benannt. Nicht leicht zu finden ist die John-Sieg-Straße 13. Gar zu versteckt liegt die alte Jugendstilvilla in einem kleinen Garten. Kein Schild findet sich am Eingang. Dabei hat sich ein ungewöhnliches Projekt aus der DDR über Mauerfall und Wiedervereinigung hinweggerettet: das Studio Bildende Kunst Berlin-Lichtenberg. Doch nun steht das Studio vor einem weitaus größeren Problem: dem Berliner Haushaltsloch.
1976 wurde es als Teil des Lichtenberger Kulturbundes mitten in der Wohngegend zwischen Plattenbauten und Hochhäusern eröffnet. Der Bevölkerung sollte die Kunst nahe gebracht werden. Konflikte mit der DDR-Bürokratie blieben nicht aus. „Wir wurden zur ‚negativen Keimzeile‘ und gleichzeitig zum Vorzeigeobjekt für schöpferische Eigeninitiativen erklärt“, beschrieb der erste Studioleiter Wolfgang Kallauka in einer Schrift zum 20-jährigen Jubiläum die Situation.
Anders als viele ähnliche Projekte hatte das Studio die Wendezeit überlebt. Unter dem Namen „Inventor e. V. – Verein Berliner Graphikfreunde“ wurde es 1991 ins Vereinsregister aufgenommen. Die Villa hatte sich in den letzten Jahren zu einer von Berlins ersten Adressen für Grafikausstellungen entwickelt.
Schon in den Jahren 1992 bis 1994 wurden unter dem programmatischen Titel „Brückenschläge“ drei Ausstellungen gemeinsam mit der Druckwerkstatt des Kreuzberger Kunsthauses Bethanien realisiert. „Der Blick des Kupferstechers“ war der Titel einer viel beachteten Exposition im Herbst 1995.
Jetzt droht dem Projekt das Aus. Unter den 33 bezirklichen Einrichtungen, die im kürzlich veröffentlichten Haushaltsplan des Bezirks Lichtenberg für die Jahre 2004/2005 im Zuge der Einsparungen wegfallen sollen, ist unter dem Spiegelstrich Kultureinrichtungen auch das Studio Bildende Kunst John-Sieg-Straße aufgeführt. „Kein Künstler würde auf der Straße stehen. Die einzelnen Projekte sollen dann nach Karlshorst ausgelagert werden“, versucht die Pressestelle des Bezirksamtes zu beruhigen.
Für die betroffenen KünstlerInnen ist das allerdings ein schwacher Trost. Vor allem die angebotenen Zeichenkurse sehen sie gefährdet. Jugendliche können sich dort auf eine Ausbildung als Grafikdesigner vorbereiten. „Wir haben in den letzten Jahren eine Grafikwerkstatt aufgebaut, die nicht einfach verlegt werden kann“, meint der Maler Ulrich Dietzmann. Er gehört zu den Westberliner Künstlern, die das Lichtenberger Studio in den letzten Jahren kennen und schätzen gelernt haben. Er kann nicht verstehen, warum man eine kulturelle Einrichtung, die sich abseits der angesagten Berliner Künstlerstandorte erhalten hat, jetzt den Sparmaßnahmen opfern will. Mit Briefen an die BezirkspolitikerInnen haben sich die StudionutzerInnen in den letzten Wochen gegen die Schließung ausgesprochen. Unterstützung haben sie von ProfessorInnen Berliner Kunsthochschulen erhalten.
Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Der Haushaltsentwurf steht erst im Herbst im Lichtenberger Bezirksparlament zur Abstimmung. So lange können die KünstlerInnen noch hoffen, dass sie ihre Jugendstilvilla behalten können. PETER NOWAK