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Archiv-Artikel

Prekär, aber im Austausch

Der Kampf gegen Lohndumping sowie für Arbeitsrechte und die Gewährung von Rechten für MigrantInnen mit prekärem Aufenthaltsstatus haben miteinander zu schaffen: In Dortmund versuchte der Kongress „Die Kosten rebellieren“ zu klären, was Ich-AGs und Putzhilfen gemeinsam haben

Gewerkschaften hierzulande kennen bislang keine Prekarisierung

VON CHRISTOPH TWICKEL

Jürgen Schäfer ließ sich entschuldigen. Der freie Journalist beim Radio Berlin-Brandenburg war verhindert, weil er sich dringend mit seinen Kollegen beraten musste. Der Sender hatte ihm nämlich am vergangenen Mittwoch die Quittung für sein arbeitskämpferisches Engagement bei „rbb pro“, der Vertretung der freien Mitarbeiter, gegeben. Die Intendanz hatte ihm mitgeteilt, für ihn gebe es keine weiteren Aufträge. Er habe jetzt am eigenen Leib erfahren, ließ Schäfer verlauten, was die Gemeinsamkeit zwischen einer migrantischen Putzfrau und einem freien Journalisten sei: Man müsse beiden nicht ordnungsgemäß kündigen.

Damit war das Thema des Kongresses schon mal grob umrissen. Unter dem Motto „Die Kosten rebellieren“ hatten sich in der FH Dortmund zirka 250 VertreterInnen von Gewerkschaften, linken Medien und Initiativen aus Europa zu einer „internationalen Versammlung zu Prekarisierung und Migration“ versammelt. Dass putzende MigrantInnen und freiberufliche Inländer gleichermaßen von der Verschärfung der Lage auf dem Arbeitsmarkt betroffen seien, wollten die Veranstalter nicht behaupten. Aber um „neue Bündnisse“ sollte es schon gehen, so Mag Wompel von Labournet Germany.

Nicht grundlos erfreut sich das Adjektiv „prekär“ zunehmenden Gebrauchs. 5-Euro-Stundenlöhne sind nicht mehr allein polnischen Erntehelfern oder südamerikanischen Putzfrauen vorbehalten. Outsourcing, Auftragszergliederung, Leiharbeit und Ich-AGs machen den flüchtigen Job ohne soziale Rechte für immer mehr Inländer zum Regelfall.

Neue Bündnisse? Vorläufig kreist der Diskurs darum, wie man sich auf die neuen Verhältnisse einstellt. Das Know-how dazu, das wurde an diesem Wochenende in Dortmund deutlich, könnten die liefern, die schon seit längerem ein nomadisches Arbeitsleben pflegen.

Etwa die AktivistInnen aus ehemaligen Jobber-Initiativen der 70er- und 80er-Jahre, als man noch vergleichsweise bequem dem 9-to-5-Rhythmus ein Dasein zwischen Gelegenheitsjobs und Stütze entgegenstellen konnte: Nach jahrelangem politischem Kampf mit Hire-and-Fire-Verhältnissen finden sie sich jetzt, da der Sozialstaat noch den letzten Langzeitarbeitslosen auf den Arbeitsmarkt schikaniert, jäh in der Rolle der PrekaritätsberaterInnen wieder. Die Beratungsstellen von Arbeitslosen- und Sozialhilfe-Initiativen verzeichnen regen Publikumsverkehr, immer mehr wollen sich gegen die Ämterpraxis wehren. „So viele dankbare Flugblattabnehmer habe ich lange nicht mehr gesehen“, sagt ein Vertreter der kleinen Anarchisten-Gewerkschaft FAU. „Seit Hartz interessieren sich die Leute wieder.“

Doch aus der Angst wird selten ein Arbeitskampf. Wer sich verbessern will, wechselt einfach von einer Klitsche zur nächsten, wie das Projekt Las Kalinkas am Beispiel von Callcentern zeigte. Für Zeit- und Leiharbeiter gibt es keinen Arbeitsplatz mehr, den es zu verteidigen gilt. Belegschaften kommen und gehen. Der Betrieb als Ort der Kommunikation über Arbeit verschwindet.

Was nicht mehr in der Kantine stattfindet, kann im Internet passieren, wie das Beispiel www.chefduzen.de zeigt. Spätestens seitdem Freenet die Kieler Site verklagt hat, weil Postings die Schikanen in Callcentern des Internet-Anbieters ausplauderten, hat sich Chefduzen vom lokalen zum bundesweiten Forum entwickelt. Arbeitslose und Jobber in Callcentern, Zeitarbeitsfirmen und Drückerkolonnen tauschen sich aus. „Wildfremde Leute geben sich Tipps, ohne dass der Aktivist einen Finger krümmen muss“, sagt Chefduzen-Betreiber Karsten Weber. Praktische Erfolge? Immerhin findet Freenet für seine 5-Euro-Jobs im Norden keine Bewerber mehr. „Mittlerweile schalten die sogar in München Anzeigen“, so Weber.

Ansonsten musste man den europäischen Gästen zuhören, um zu erfahren, wie Organisierung in prekären Verhältnissen gehen kann. Etwa der unabhängigen französischen Gewerkschaft SUD, die seit 1996 vor allem prekäre, oft migrantische ArbeiterInnen bei der Bahn oder im Reinigungsgewerbe unterstützt. Wie aus Unzufriedenheit Widerstand wird? „Durch Vertrauen“, sagt der SUD-Funktionär, „und das entsteht aus Beharrlichkeit.“ Ein Jahr lang hatte SUD etwa einen Streik von 33 weiblichen Reinigungskräften bei der Hotelkette Accor durchgefochten.

Deutsche Gewerkschaften hatten sich bislang aus dem Diskurs um Prekarisierung herausgehalten und eher für die ordnungspolitische Lösung optioniert. Noch im Frühjahr schaltete die IG Bau eine Hotline unter dem Motto „Ohne Regeln geht es nicht“, bei der Bürger Schwarzarbeit denunzieren dürfen. In Dortmund nun erwähnte Bundesvorstandsmitglied Frank Schmidt-Hullmann eine IG-Bau-Studie, derzufolge über die Hälfte der osteuropäischen Entsendearbeiter einer transnationalen Wanderarbeiter-Gewerkschaft beitreten würde. Ein Umdenken? Immerhin eines könnte die postautonome der gewerkschaftlichen Linken an diesem Wochenende gesteckt haben: dass der Kampf gegen Lohndumping sowie für Arbeitsrechte und die Gewährung von Rechten für MigrantInnen mit prekärem Aufenthaltsstatus etwas miteinander zu schaffen haben.