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Archiv-Artikel

Ein politisches Erdbeben in Argentinien

Haftbefehl gegen 46 Militärangehörige wegen Verbrechen unter der Diktatur. Ihnen droht Auslieferung nach Spanien

BUENOS AIRES taz ■ Den Anfang machten der gewählte Bürgermeister der Stadt Tucumán, Antonio Bussi, und der berüchtigte Folterer Alfredo Astiz. Bussi nennen Überlebende der argentinischen Militärdiktatur (1976–1983) den „Metzger von Tucumán“, Astiz den „Todesengel“. Als Erste von 46 mit Haftbefehl gesuchten Militärangehörigen während der Diktatur, stellten sich die beiden am Freitag der Justiz.

Am Donnerstag hatte Bundesrichter Rodolfo Caicoba Corral Haftbefehl gegen die 46 Männer erlassen und in Argentinien ein politisches Edbeben ausgelöst. Sein spanischer Kollege, der Diktatorenjäger Baltasar Garzón, hatte einen Auslieferungsantrag gestellt. Er wirft den 46 Verdächtigen schwere Menschenrechtsverletzungen während der argentinischen Militärdiktatur vor und will sie dafür in Spanien vor Gericht stellen.

Am Sonntagnachmittag war von den 46 nur einer flüchtig, alle anderen sitzen seither in Untersuchungshaft oder stehen unter Hausarrest. Der rangniedrigste, Juan Antonio Azic, der während der Diktatur ein Kleinkind gefoltert haben soll, schoss sich aus Furcht vor Festnahme in die Zunge und liegt auf der Intensivstation.

Bislang wurden das argentinische Militär von einem Präsidialdekret von 2001 geschützt, das eine Auslieferung an Drittländer verbietet. Doch am Freitag hatte der argentinische Präsident Néstor Kirchner das Schutzdekret kassiert. Die argentinische Justiz muss dann klären, ob die Auslieferung nach argentinischem Gesetz rechtens ist. Die letzte Entscheidung fällt in diesen Verfahren die Regierung. Seit einigen Wochen hat die Regierung Kirchners signalisiert, das Auslieferungsverbot für unter der Diktatur akive Militärangehörige kippen zu wollen. Kirchner hatte beteuert, mit der „Kultur der Straflosigkeit“ in Argentinien aufzuräumen. Zwei Amnestiegesetze machen die strafrechtliche Verfolgung bislang unmöglich. Aber jetzt hat die Regierung auf die Justiz eingewirkt, die Amnestiegesetze für während der Diktatur begangene Verbrechen, für verfassungsfeindlich zu erklären.

Beifall bekam Kirchner für seine Entscheidung, das Auslieferungsverbot zu kassieren, von Menschenrechtsorganisationen. Hebe de Bonafini, Präsidentin der Mütter der Plaza de Mayo, sagte: „Es ist ein sehr mutiger Schritt.“ Trotzdem hätte es Bonafini lieber gesehen, wenn die Beschuldigten in Argentinien vor Gericht gestellt würden.

Wenig angetan von den Haftbefehlen ist das Militär. Zwar herrsche in den Streitkräften „absolute Ruhe“, wie es ein Regierungssprecher formulierte. Doch unter der Oberfläche brodelt es. Nur pensionierte Generäle lassen sich aber dazu hinreißen, von „Revanchismus“ zu sprechen. Dabei stehen einige der Festgenommenen seit längerem unter Arrest. INGO MALCHER