: Die Schuld der Zeichen
Der Horror wohnt im Harmlosen: Mit After Images zeigt die Weserburg die Kunst der Nachgeborenen
as kommt nach den Bildern? Natürlich wieder Bilder. Gut, sie werden sich verändert haben. Sie zeigen Trauma-Szenen, statt Idyllen.
Einen Verkehrsunfall beispielsweise, eine Massenkarambolage auf einer merkwürdig verschlungenen Kreuzung, Detail versessen mit Bäumchen und winzigen Steinen und olivgrünen Volkswagen von den Brüdern Jake und Dinos Chapman gebaut. Vielleicht zeigen sie auch Gesichter oder Landschaften, die mehr abwesend sind, als zu sehen: Luc Tuymans Blaue Eiche. Auch die hängt derzeit in der Weserburg, das wäre so ein Fall: Fast leer die Leinwand, Spuren von Geäst, bläuliches Weiß auf hellem Grau.
Es sind beschädigte Bilder. Aber neu? Na, das wäre ja zu schön: Die Idee, dass es so etwas wie neue Bilder geben könnte, ist ein romantischer Irrglaube. Ein altes Hirngespinst. Ein altes Bild. Ein Bild nach den Bildern wird immer ein Nachbild sein. Eine alte, vergessene oder bewusst zitierte Konstellation. Oder auch eine bleibende Netzhautreizung nach. After-Images heißt die Jahresausstellung des Neuen Museums Weserburg, die am Sonntag eröffnet wurde.
„Nachbilder“ oder auch „Nach den Bildern“ – das ist ein Titel, unter dem alles gezeigt werden könnte, was gegenwärtig an Kunst produziert wird. Und formal stimmt das auch: Zu sehen sind Ölgemälde, Videokunst, raumgreifende Installationen, Foto-Montagen, ein ready-made und auch Modelle.
Das scheint heterogen. Doch dagegen steht thematische Stringenz. Das verraten die Titel: The Nazis ist eine von Piotr Uklański 1999 komponierte Reihe Film-Stills, bereits 1979 hat die Gruppe General Idea ihre Nazi Milk-Fotomontage auf ein Trinkglas gebannt. Sans Souci nennt – weniger eindeutig – Christian Boltanski eine Wand mit Privataufnahmen in historischem Schwarz-Weiß: Hochzeiten, Begräbnisse, Freundestreffen. Diese Menschen feiern, uns selbst gar nicht so unähnlich, die schönen Momente ihres familiären Glücks. Nur tragen sie alle Uniformen. Von der SS. Oder der Wehrmacht.
Wer moralisierende Eindeutigkeiten sucht, ist in dieser Ausstellung falsch. Die Künstler sind zum Großteil erst nach dem Zweiten Weltkrieg geboren. Keiner von ihnen hätte das Recht, unter der Last der Vergangenheit zusammenzubrechen. Und doch ist es keinem von ihnen möglich, sich ihr zu entledigen: Unentrinnbar sind ihre Zeichen. Deren Unschuld aber ist für immer verloren.
Komprimiert und auf die Spitze getrieben haben das die Chapman-Brüder: Ihr wahnwitziger Verkehrsunfall greift eine verharmlosend-revisionistische These auf. Die Straßen treffen in einer vorbelasteten Form aufeinander: als Hakenkreuz. Märklin-Männchen haben sie aus den verkeilten Autos springen lassen. Stramm heben die den rechten Arm zum Hitlergruß. Mit verballhorntem deutschen Akzent betiteln die Chapmans dieses dümmliche Geschichts-Modell als The Tragik Konsequekes of Driving KareleSSly. Sarkasmus? Durchaus. Doch gerade indem sie in einem lächerlich unkünstlerischen Medium vorgetragen wird, verliert die These, das Dritte Reich sei nur eine Art Verkehrsunfall gewesen, jeden Anspruch darauf, ernst genommen zu werden. Sie zu illustrieren und zu vernichten, das ist hier eins. Das Bild aber schreibt sich fort, indem es sich zerstört: Es wird zum Bild des Grauens, zu dem kein Versuch der Abbildung je im Verhältnis steht benno Schirrmeister
After Images. Neue Weserburg, Di-Fr. 10-18, Sa & So 11-18 Uhr. Bis 2. Oktober