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Archiv-Artikel

Staat nur noch fürs Nötigste

Thomas Fenkl von der Aidshilfe brütet über ketzerischen Ideen: Sozialarbeit müsse sich notgedrungen privat finanzieren. Trotzdem hofft er, dass das aktuelle Streichkonzert an seinem Projekt vorübergeht

Bremen taz ■ Die Bremer Aids-Hilfe stand vor dem Aus: Die Sozialsenatorin hatte dem Verein 160.000 Euro gestrichen. Außer den betreuten Wohnprojekten, die sich über die Pflegesätze der Krankenkassen finanzieren, war von dem Beratungs- und Präventionsangebot nichts übrig geblieben. Mit einem „Big Deal“ wollte die Aidshilfe daraufhin Stellen und Angebote retten: Durch private Dauer-Spender sollten 80.000 Euro im Jahr zusammenkommen. Die anderen 80.000 sollte die so unter Druck gesetzte Senatorin bezahlen.

taz: Was ist aus dem Big Deal geworden?

Thomas Fenkl, Aidshilfe Bremen: Der Big Deal ist knapp gescheitert, aber er ist als Aktion für die Aidshilfe sicher nicht wertlos gewesen. Zahlreiche Menschen haben sich nicht nur finanziell, sondern auch inhaltlich engagiert. Wir werden die UnterzeichnerInnen der Spendenverträge jetzt anschreiben, aus dem Vertrag entlassen und trotzdem um eine regelmäßige Spende bitten. Wenn nur ein Drittel der Unterzeichnerinnen das macht, dann können wir zumindest eine Präventionsstelle unabhängig finanzieren.

Finanzierung durch Spenden: Kann das eine Perspektive für soziale Einrichtungen sein?

Ich denke, das Jammern und die Konzeptlosigkeit müssen ein Ende haben. Wir haben entschieden, uns langfristig soweit als möglich von der Finanzierung durch die öffentlich Hand unabhängig zu machen, und erstellen zur Zeit ein Konzept zur Gründung eines wirtschaftlichen Betriebs. Mit etwas Glück können wir noch in diesem Jahr starten.

Früher hieß es, die private Finanzierung sozialer Dienste sei eine Sackgasse. Man würde vielleicht noch Geld für kranke Kinder, aber keines für obdachlose Junkies einwerben können.

Aber es hilft doch nichts! Wenn sich die finanzielle Situation in Bund und Land nicht grundlegend ändert, dann wird der Staat in Zukunft nur noch das Unabdingbare zahlen, also letztlich nur noch soziale Fürsorge. Die ganzen so genannten freiwilligen Leistungen wird es dann nicht mehr geben.

Ihr wollt jetzt also die Flucht nach vorn antreten. Was für ein Wirtschaftsbetrieb schwebt euch denn vor?

Das will ich noch nicht öffentlich machen.

Welche Teile eurer Arbeit sind auf der Strecke geblieben?

Wenn man genau schaut, haben wir das Angebot sogar ausgebaut. Die psychosoziale Beratung und das Projekt Betreutes Wohnen sind nach wie vor die Kernstellen. Die Beratungs- und Präventionsarbeit können wir ehrenamtlich weiter aufrechterhalten und auch durch Mittel von der Agentur für Arbeit und der Selbsthilfe-Förderung der Krankenkassen stützen. Auch die evangelische Kirche ist eingesprungen, die muss ich ausdrücklich loben.

Es wird Sozialsenatorin Röpke (SPD) freuen, dass ihre Kürzungen nicht zur Einstellung eurer Leistungen geführt haben.

Ja, das ist natürlich ein zweischneidiges Schwert. Aber wir hatten uns zum Beispiel kurz vor der Kürzung fortgebildet zum Thema Hepatitis und auch zum Gebrauch moderner Designerdrogen bei jugendlichen Schwulen und Lesben. Es wäre eine Trotzreaktion gewesen, das alles wegzuwerfen und einzustampfen. Stattdessen haben wir mit viel Phantasie an unseren Angeboten gefeilt und zum Beispiel die Internetberatung aufgebaut.

Wird das angenommen?

Ja, wir haben pro Tag mindestens zwei Internetberatungen.

Aber die Aidskranken, Drogenkranken, die teils auf der Straße leben, für die ist das Internet doch kein Angebot?

Für die gibt es die offene, psychosoziale Beratung. Wir haben da ein sehr qualifiziertes Angebot und hoffen, dass durch die anstehenden Kürzungen im Drogenbereich nicht dort gekürzt wird. Zumal dieses Angebot zusehends von MigrantInnen genutzt wird, die sich angesichts der Abschiebediskussion anderswo nicht so wohlwollend beraten sehen.

Die Drogenhilfe in Bremen wird reformiert: Die Zuständigkeit wandert von der Sozial- in die Gesundheitsbehörde, und aus vielen Hilfseinrichtungen – privaten und staatlichen – werden wenige, zentrale. Eine gute Reform?

Was die Zuständigkeit angeht, kann ich das noch nicht beurteilen: Wir hatten bei der Sozialbehörde mit sehr engagierten MitarbeiterInnen zu tun. Ansonsten halte ich es für hoch problematisch, das Angebot an Hilfe und Beratung zu reduzieren. Man spart die Strukturen kaputt, die Bremen als Großstadt von einem Dorf unterscheiden. Wenn die Beratung an wenigen Stellen zentralisiert wird, produziere ich Milieus und Szenen dort. Eine breite Angebotspalette mit vielen kleinen und auch spezialisierten Beratungs-Angeboten entzerrt das und schafft auch Heimat. Fragen: Elke Heyduck