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Archiv-Artikel

Frei erfunden oder manipuliert

aus New York EVA SCHWEITZER

Bagdad, das ehemalige Hauptquartier des irakischen Geheimdienstes, im April. Zwei Reporter, der eine vom Toronto Star, der andere vom Londoner Telegraph, durchstreifen das Gebäude und stoßen auf Gold: ein Dokument, in dem steht, dass sich Saddam Hussein mit Ussama Bin Laden getroffen hat, 1998. Endlich, das „Smoking Gun“. Zwar ist der Name „Bin Laden“ geschwärzt, aber einem der beiden Journalisten gelingt es, die Farbe abzukratzen. Der Star und der Telegraph haben ihre Story. Aber wie echt ist sie? Und warum entdecken gleich zwei Journalisten die begehrten Dokumente – in einem Gebäude, dass die CIA schon mehrfach durchsucht hat?

Mehr als ein Jahr zuvor, im Februar 2002, deckte die New York Times auf, dass das US-Verteidigungsministerium ein Office of Strategic Influence gegründet hatte, das hauptsächlich Medien im Ausland mit Lügen füttern sollte. Nach dem Artikel der New York Times wurde das Office of Strategic Influence offiziell beerdigt. Und inoffiziell? Pentagonchef Donald Rumsfeld, im November 2002 auf einem Flug von Washington nach Chile von Journalisten dazu befragt, sagte: „Ich habe gesagt, gut, wenn ihr das Ding schlachten wollt, gebe ich euch die Leiche. Ihr könnt den Namen haben, aber ich behalte jedes einzelne Ding, das getan werden muss. Was das Office tun sollte, ist getan worden, wenn auch nicht durch dieses Office.“

Rumsfelds Propagandaeinheit

Wodurch denn dann? Donald Rumsfeld hatte viele Hilfskräfte. Unter ihnen Richard Perle, der Experte des neokonservativen Think Tanks American Enterprise Institute ist. Perle hatte der Presse immer wieder diktiert, der irakische Diktator Saddam Hussein besitze Massenvernichtungswaffen. Er schrieb in der New York Times, der World-Trade-Center-Attentäter Mohammed Atta habe sich im April 2001 mit einem Mann vom irakischen Geheimdienst in Prag getroffen (während Atta in Florida unterwegs war). Und auch zum Londoner Telegraph hat Perle einen guten Draht. Das Blatt gehört, wie die New York Sun und die Jerusalem Post, der Hollinger-Gruppe, und bei der sitzt Richard Perle im Aufsichtsrat.

Aber es war nicht nur Perle – eine gewaltige Propagandamaschine hat die Medien im In- und Ausland über Monate mit Lügen über den Irak gefüttert. Rumsfelds Schattengeheimdienst, das Office of Special Plans, Iraks Möchtegernpräsident Ahmed Chalabi, Publizisten vornehmlich von Blättern des Medienzaren Rupert Murdoch wie etwa Bill Kristol, Chefredakteur des Weekly Standard, aber auch von seriösen Blättern gehörten dazu. Außerdem Experten des American Enterprise Institute wie Samuel Huntington, Francis Fukuyama, oder Laurie Mylroie, die in einem Buch, das im Murdoch-Verlag HarperCollins erschien, behauptet, Saddam Hussein stecke auch hinter der Attacke auf das World Trade Center von 1993. Die frühere Professorin des U.S. Naval War College hat auch ABC News, die BBC und Newsweek zum Thema Terrorismus beraten.

Wichtigster Propagandaträger war das Fernsehen, allen voran Murdochs Fox News. Dessen Chef ist Roger Ailes, der frühere Berater von Nixon, Reagan und Bush senior. Ein Korrespondent von Fox News ist Oliver North, verantwortlich für die Iran-Contra-Affäre. So übermittelte North etwa einen Kriegsbericht, wonach die französische Botschaft gerade dabei war, Beweise zu vernichten, dass Frankreich den Irak mit chemischen und biologischen Waffen beliefert hatte – alles frei erfunden.

Nach dem Einmarsch in Bagdad präsentierte Fox tagelang jubelnde Iraker, die laut den Kommentatoren reihenweise Saddam-Statuen umwarfen. Dass dabei fast immer nur die Statue vor dem Hotel Palestine im Bild war, die in Wirklichkeit von einem US-Panzer umgestoßen wurde, fiel kaum auf. Auf einem Luftbild ist zu erkennen, dass nur 100 bis 200 Iraker um die Statue herumstehen – auch das zeigte Fox nicht.

Die anderen Sender passten sich an. So ließ CNN, wie dessen Nachrichtenchef einräumte, vom Pentagon absegnen, welche Generäle auf den Schirm durften. MSNBC strich die Talkshow des Altliberalen Phil Donahue. In einem internen Memo dazu heißt es, Donahue sei „ein problematisches öffentliches Gesicht für NBC in Kriegszeiten, wenn unsere Konkurrenten dauernd mit der Fahne wedeln“.

Für Steve Randall von FAIR, einem medienkritischen Verein, sind die Journalisten das Problem. „Vor allem die im Fernsehen trauen sich oft nicht, Politikern kritische Fragen zu stellen.“ Dazu die Hackordnung. „Dem Weiße-Haus-Pressekorps werden feste Sitzplätze zugewiesen“, erklärt Randall. „Die von den wichtigen Medien sitzen vorne. Aber wer dauernd unangenehme Fragen stellt, rutscht nach hinten.“ Überdies seien Medien und Regierung oft miteinander verflochten: Vizepräsident von Clear Channel, der größten Radiokette der USA, ist Tom Hicks, ein Geschäftspartner von Bush. NBC gehört dem Rüstungskonzern General Electric.

Früher hatte die CIA selbst noch Lügen in die Medien gepflanzt, aber das wurde der Agentur in den 70er-Jahren vom Kongress untersagt. Im ersten Golfkrieg engagierte die CIA deshalb Public-Relations-Agenturen. „Um eine direkte Beziehung zu den Medien zu vermeiden, rekrutierte die CIA PR-Firmen wie Hill & Knowlton“, schrieb Susan Trento in „The Power House“. Die Auslandsbüros von Hill & Knowlton waren das „perfekte Cover für eine expandierende CIA.“ Hill & Knowton erfanden die Story, irakische Soldaten hätten kuwaitische Brutkastenbabys getötet (der TV-Beitrag wurde in London mit Puppen gedreht). Hill-&-Knowton-Mitarbeiterin Victoria Clarke wurde Rumsfelds Pressesprecherin. Es war ihre Idee, Journalisten zu „embedden“, so dass das Fernsehen den Krieg vorwiegend aus der Perspektive des Militärs zeigte.

Die Suche nach „Beweisen“

Als Rumsfeld 2001 Pentagonchef wurde, krempelte er alles um. Nicht nur gründete er seine eigene Propagandaabteilung – das Office of Strategic Influence –, er misstraute auch der CIA, deren Daten ihm zu vage und zu vorsichtig waren. Deshalb rief er das „Office for Special Plans“ ins Leben. Es sollte beweisen, dass der Irak Massenvernichtungswaffen und Verbindungen zu al-Qaida hat, und die Daten notfalls so lange prüfen, bis das gewünschte Ergebnis herauskam. Strategic Influence und Special Plans waren Teil einer Gesamtstrategie psychologischer Kriegführung. In einer internen Dienstanweisung des Pentagons heißt es: „Die Air Force und die Navy sind in den Informationskrieg an der Heimatfront verwickelt.“ Medien, auch die der USA, sollten nicht nur mit den Zielen der Regierung vertraut gemacht werden, es sollte auch verhindert werden, dass sie sich aus anderen Quellen informieren.

Das Niger-Uran-Desaster ist diesem Drang zuzuschreiben, „Beweise“ zu finden. Der New Yorker deckte noch Weiteres auf. So habe das Pentagon einen irakischen Überläufer verhört, der beschrieb, wie Al-Qaida-Terroristen in Camps im Irak trainiert hätten und wie der Irak instruiert worden sei, chemische und biologische Waffen zu benutzen. Der Bericht, der von einem Vertrauten des Exilirakers Ahmed Chalabi übersetzt wurde, gelangte an die Times of London, die Medienzar Murdoch gehört. Als die CIA den Mann mit ihrem Übersetzer verhörte, beteuerte der, er habe das alles nie gesagt.

Nicht nur aus Patriotismus

Für John MacArthur, Verleger von Harper's Magazine, ist der „Zirkus“, den Fox und Murdoch inszenierten, nicht so schlimm wie das, was die seriöse Presse tue, vor allem die New York Times. So brachte deren Reporterin Judith Miller, die mit der Truppe im Irak war, einen Bericht, wonach ein irakischer Wissenschaftler dem Militär erzählt hatte, Saddam Hussein habe chemische und biologische Waffen vernichtet oder nach Syrien geschafft. Jedoch redete Miller nicht selbst mit dem Wissenschafter, sondern zitierte das Pentagon, das den Artikel sogar vor Drucklegung las. Die NYT korrigierte die Geschichte später, machte aber die Armee für die Fehlinformation verantwortlich. Inzwischen stellte sich heraus, dass Ahmed Chalabi Millers Hauptinformant war.

Michael Wolff, Medienredakteur des New York Magazine, vermutet, dass es nicht nur Patriotismus war, was die Medien an die Seite von Bush getrieben hat. Parallel zum Golfkrieg gab es Verhandlungen zwischen der staatlichen Federal Communications Commission (FCC) und den Medienkonzernen um eine Neuordnung der Kartellgesetze – zugunsten der Konzerne, insbesondere der großen Zeitungsverlage. Die FCC hat nun praktisch allen Forderungen der Medienindustrie stattgegeben.