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Archiv-Artikel

Der Ersetzbare lacht wieder

Rechtzeitig vor dem heutigen Halbfinale gegen die Niederlande verlässt Portugals Kapitän Luis Figo den Schmollwinkel und darf sich dafür sogar über Lobhudeleien seines Trainers Felipe Scolari freuen

AUS LISSABON MATTI LIESKE

„Wir haben eine Mannschaft, die siegen kann“, sind die Plakate und ganzseitigen Zeitungsanzeigen überschrieben, mit denen die Banco Espirito Santo seit dem Beginn der Europameisterschaft Werbung betreibt. Darunter prangt ein großes Foto der portugiesischen Mannschaft mit überaus optimistisch dreinblickenden Spielern. Nach der Auftaktniederlage gegen Griechenland dürften sich bei einigen Leuten im Vorstand und in der Werbeabteilung der Bank vom Heiligen Geist die grauen Haare beträchtlich vermehrt haben, aber dann wurde ja doch noch alles gut. „Wir haben Stolz“, steht jetzt unter dem Foto, was vermutlich keine Anspielung auf den Christopher Street Day ist, der in Portugal „Tag des schwulen Stolzes“ heißt.

Etwas dumm nur, dass beim genaueren Hinsehen deutlich wird, wie wenig die abgebildete Mannschaft mit jener zu tun hat, die heute Abend (20.45 Uhr, ARD) gegen die Niederlande auflaufen wird. Kein Deco, kein Ricardo Carvalho, kein Cristiano Ronaldo, kein Miguel, kein Maniche, kein Nuno Gomes, dafür die alten Kämpen wie Fernando Couto, Pauleta, Rui Jorge, Paulo Ferreira, Rui Costa, welcher das Land derzeit auch mit Werbeplakaten für hässliche Sonnenbrillen heimsucht. Ausgemustert allesamt, zumindest aus der Anfangsformation, Opfer eines Wandels vom heterogenen Spielersammelsurium zur funktionierenden Einheit, vollzogen während des Turniers.

Einziges Bindeglied der beiden Formationen ist der Kapitän, Luis Figo, und ausgerechnet der schien im Viertelfinale gegen England in einem Anfall von Altersstarrsinn von Bord springen zu wollen. Seine Auswechslung quittierte er mit einem „Gesicht der wenigen Freunde“, wie es die Portugiesen so hübsch ausdrücken. Den Rest des Spieles verfolgte er in der Kabine im Fernsehen, anstatt als Kapitän, wenn schon nicht von der Brücke, so doch wenigstens von der Bank aus moralische Unterstützung zu leisten. Trotz des bisherigen Erfolges ist es eine schwierige Situation für Figo, der nach der verheerenden Saison mit Real Madrid nun erleben muss, wie seine alten Freunde aus dem Team purzeln und er selbst seine Führungsrolle mit rasanter Geschwindigkeit einbüßt.

Das Land nahm die Schmollattacke zunächst übel, doch der Umschwung folgte auf dem Fuß. Inzwischen kann sich Figo vor Lobpreisungen kaum retten. Im portugiesischen Lager weiß man, dass ein Skandal um den Kapitän das Letzte ist, was man gebrauchen kann. Und auch Figo selbst ist offenbar in sich gegangen und nun von Reue geplagt. Freiwillig trainierte er mit den Reservisten, wobei er demonstrativ scherzte, lachte und ein Späßchen an das andere reihte. Die Mannschaftskollegen traten der Reihe nach vor die Mikrofone und taten kund, wie der Kapitän ihnen nach dem gewonnenen Elfmeterschießen gegen England in der Kabine einzeln gratuliert und wie er sogar eine emotionstriefende Rede gehalten habe, eine absolute Seltenheit beim zurückhaltenden Figo. Die Holländer jedenfalls haben große Furcht, dass die Mini-Affäre den portugiesischen Flügelmann heute zu seiner besten Turnierleistung inspirieren könnte. „Gegen uns wird er alle seine Qualitäten zeigen“, glaubt Johnny Heitinga.

Auch Trainer Felipe Scolari, normalerweise kein Lobhudler, was die Spieler betrifft, pries seine Nummer 7 nach allen Regen der Rhetorikkunst. „Wir sprechen von einem Mann, der die Auswahl verteidigt, der sein Land verteidigt und der alles für sein Land tut, was wir uns von ihm wünschen“, bramarbasierte der Brasilianer und führte Figos Zorn auf die etwas düstere Attitüde der Portugiesen zurück. „Sie sind eben so, während wir Brasilianer den ganzen Tag, jede Stunde, Feste feiern.“ Abschließend bemerkte er noch: „Bevor ich hier Trainer wurde, habe ich Figo als Spieler bewundert, jetzt bewundere ich ihn auch als Persönlichkeit.“ Auswechseln wird er ihn heute wahrscheinlich trotzdem.

Einer, der nicht ausgewechselt wird, ist Deco. Warum das so ist, zeigt eine spezielle Statistik. Deco ist nicht nur der Spieler, der am meisten gefoult wurde bei dieser EM, er ist auch derjenige, der am meisten gefoult hat. Unermüdlich kämpft er um die Bälle und ist deshalb auch unverzichtbar, wenn es in der Offensive bei ihm nicht so läuft. Gegen England verteidigte er am Ende für den erschöpften Miguel auf der rechten Seite, eine Aufgabe, die er lieber nicht wiederholen möchte. „Das strengt zu sehr an, ich war am Ende tot.“

Nicht nur deshalb war die Erleichterung groß, als Deco am Montag zur Pressekonferenz erschien. Als gebürtiger Brasilianer hat er wenig von der portugiesischen Reserviertheit und ist ein Freund klarer Worte. Nicht allerdings, was seinen zukünftigen Verein anbelangt. Der von ihm selbst bereits bestätigte Wechsel nach Chelsea ist wieder fraglich, jetzt ist der FC Barcelona im Rennen. Worüber der Spieler aber nicht reden wollte. Dafür sprach er aus, was seine diplomatischen Kollegen bisher peinlichst vermieden hatten, und erklärte seine Mannschaft zum Favoriten für das Match gegen Holland. „Es wäre eine Desillusionierung, wenn wir nicht ins Finale kommen“, sagte Deco und erklärte der niederländischen Presse, die mangelnden Respekt witterte, warum. „Die Niederländer haben brillante Momente, aber auch miserable“, dozierte er, „sie sind zum Besten fähig, aber auch zum Schlechtesten.“ Unberechenbar und ohne Zweifel eine hervorragende Mannschaft, „aber wir haben den größeren Siegeswillen, und der wird sich durchsetzen.“ Besser hätte es die Banco Espirito Santo nicht formulieren können.